30. August 2021
Negative Effekte der Corona-Pandemie, ambitionierte Klimapolitik, anhaltende Negativzinsen und die immensen Wertpapierkäufe der EZB rücken Verteilungsfragen zunehmend in den Fokus. Die Politik neigt zum Ad-hoc-Kurieren von Symptomen mit Blick auf das eigene Klientel, statt ursachenwirksame Maßnahmen zu ergreifen. Das schon bestehende Ausmaß an Umverteilung und langfristige Konsequenzen für Wachstum und Staatsfinanzen werden aus der Debatte ausgeklammert. Eine zielgerichtete Politik könnte dagegen Aufstiegschancen schaffen und damit die soziale Unabhängigkeit fördern. Auch die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standorts und die politische Stabilität könnten dadurch verbessert werden.
[mehr]Verteilungsfragen rücken in den Vordergrund: Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung
Stefan Schneider
Negative Effekte der Corona-Pandemie, ambitionierte Klimapolitik, anhaltende Negativzinsen und die immensen Wertpapierkäufe der EZB rücken Verteilungsfragen zunehmend in den Fokus. Deutschland-Monitor Politik muss bei aktuellen Herausforderungen mehr Augenmerk auf Verteilungs implikationen legen Negative Effekte der Corona-Pandemie, ambitionierte Klimapolitik, anhaltende Negativzinsen und die immensen Wertpapierkäufe der EZB rücken Verteilungs fragen zunehmend in den Fokus. Die Politik neigt zum Ad-hoc-Kurieren von Symptomen mit Blick auf das eigene Klientel, statt ursachenwirksame Maßnahmen zu ergreifen. Das schon beste hende Ausmaß an Umverteilung und langfristige Konsequenzen für Wachstum und Staatsfinanzen werden aus der Debatte ausgeklammert. Eine zielgerichtete Politik könnte dagegen Aufstiegschancen schaffen und damit die soziale Unabhängigkeit fördern. Zudem könnte so die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standorts und politische Stabilität verbessert werden. Ungleichheit zuletzt konstant - allerdings nicht in der Wahrnehmung Globalisierung, technologischer Fortschritt, demografische und gesellschaftliche Veränderungen haben die Einkommensungleichheit in Deutschland - wie in den meisten anderen Industrieländern - von den 1980ern bis Anfang der 2000er Jahre erhöht. Seitdem ist sie aber relativ konstant. Durch deutlich steigende Sozialtransfers (allein seit 2010 um 30%) ist die deut sche Einkommensverteilung nach Steuern im internationalen Vergleich immer noch relativ homogen. Dennoch empfinden viele Deutsche ihre eigenen Einkommen und diejenigen der unteren Schichten als zu niedrig. Allerdings unterliegen die Deutschen, wie auch Bürger anderer Länder, dabei erheblichen Fehleinschätzungen, sowohl mit Blick auf die eigene Verteilungsposition als auch die Form der Verteilung insge samt. Bildung ist der Schlüssel, ergänzende Transfers müssen effektiver gestaltet sein Das Bildungssystem muss gestärkt werden, um Anforderungen an zukünftige Arbeitsplätze zu erfüllen. Mehr Menschen sollten die Möglichkeit eines Studi ums bekommen. Das Transfersystem muss einfacher werden, um die Primärverteilung effektiver zu ergänzen, wenn Lohnsteigerungen durch Produktivitätszuwächse nicht mög lich sind. Schließlich sollten verteilungspolitische Vorhaben neben den Begünstigten auch die Belastung für die Gesellschaft und die zukünftigen Staatsfinanzen klar darle gen. Autoren Stefan Schneider +49 69 910-31790 stefan-b.schneider@db.com Henry Minör Editor Stefan Schneider Deutsche Bank AG Deutsche Bank Research Frankfurt am Main Deutschland E-Mail: marketing.dbr@db.com Fax: +49 69 910-31877 www.dbresearch.de DB Research Management Stefan Schneider 30. August 2021 Verteilungsfragen rücken in den Vordergrund Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 2 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor Verteilungsfragen rücken in den Vordergrund „Unser größtes Problem ist die wachsende Ungleichheit , nicht nur mit Blick auf Einkommen und Wohlstand, sondern auch mit Blick auf die soziale Wertschät zung ." - Hubertus Heil (SPD, Debatte zum Bundeshaushalt 2021, 11.12.2020) Corona und Energiepolitik befeuern Verteilungsdebatte Soziale Ungleichheit ist für Wähler eines der wichtigsten Themen. Die höhere Belastung unterer Einkommensgruppen durch die Corona-Pandemie sowie an stehende Belastungen durch das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 haben der Debatte zusätzlichen Auftrieb gegeben. Laut eines Berichts des WSI sind die Corona-bedingten Einkommenseinbußen in unteren Einkommensschichten mit Abstand am größten. 1 Die Relevanz vieler eher schlecht bezahlter Berufe in der Pflege und der Erziehung wurde deutlich sichtbar und es wurden Fragen nach einer gerechten Bezahlung im Sinne ihres gesellschaftlichen Beitrags (System relevanz) aufgeworfen. Die Bundesregierung reagierte mit einer Pflegereform, nach der ab September 2022 nur noch Pflegeeinrichtungen zugelassen werden, die den Tariflohn nicht unterschreiten. 2 Zudem haben Studien für verschiedene Länder ergeben, dass die lockere Geldpolitik die Ungleichheit zuletzt erhöht ha ben könnte, weil Vermögende durch Bewertungszuwächse an den Finanzmärk ten stärker profitieren als Menschen am unteren Ende, bei denen sich der Ge winn auf Beschäftigungseffekte beschränkt. 3 Umfrageergebnisse spiegeln Sorgen und Ungerechtigkeitsempfinden der Deut schen wider Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass trotz unseres umfas senden Sozialstaats Armut und soziale Ungleichheit seit Jahren die größte Sorge der Deutschen darstellen. Im internationalen Vergleich ist sie nur in La teinamerika, Ungarn und Russland stärker ausgeprägt. 4 Nur knapp die Hälfte der Deutschen empfindet die eigene Einkommenssituation als gerecht. Insge samt werden niedrige Einkommen eher als ungerecht bewertet als hohe Ein kommen, was eine hohe Übereinstimmung mit den Prinzipien der Bedarfs- und Leistungsgerechtigkeit suggeriert. 5 Dieses Gerechtigkeitsempfinden spiegelt sich in aktuell hohen Umfragewerten staatsorientierter Parteien wider (SPD: 21%, Grüne: 19%, Linke: 7% 6 ), deren Programme deutliche Umverteilung in Aussicht stellen. 7 1 WSI (2020). Verteilungsbericht 2020. 2 ZEIT ONLINE (2021). Regierung einigt sich auf bessere Löhne für Pflege. Verfügbar unter: Alten pflege: Regierung einigt sich auf bessere Löhne für Pflegekräfte, ZEIT ONLINE, 30. Mai. Zuletzt abgerufen am 16.07.2021. 3 Anderson et al (2021). Monetary Policy and Inequality; Dolado et al (2021). Monetary Policy and Inequality under Labor Market Frictions and Capital-Skill Complementary; Schularick et al (2021). Monetary policy and racial inequality. 4 IPSOS (2021). What worries the world, June 2021. 5 Statistisches Bundesamt (2021). Datenreport 2021. Sozialbericht für Deutschland. 6 Sonntagsfrage, Forsa, 18.08.2021. 7 Obwohl die Grünen momentan vermutlich überwiegend wegen klimapolitischer Positionen Zu spruch erhalten, ordnen wir sie hier aufgrund ihrer sozialpolitischen Agenda zusammen mit der SPD und den Linken ein. Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 3 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor Politische Fragen immer Verteilungsfragen Dabei werden aktuell in Deutschland bereits rund 31,5% des BIP durch den Staat für Sozialleistungen ausgegeben, die die aggregierte Einkommensun gleichheit um rund 44% 8 reduzieren. Fast zwei Drittel der Ausgaben entfallen auf Sozialversicherungen, wovon die Hälfte für Renten aufgebracht wird. 9 Ne ben Maßnahmen der direkten Umverteilung finanziert der Staat wichtige Ausga ben zur Bereitstellung von öffentlichen Gütern, wie etwa Bildung, Kultur und Sport, die nicht von allen Gruppen gleichermaßen beansprucht werden. Allein im Bereich Bildung betrugen die öffentlichen Ausgaben im Jahr 2018 rund 5,2% des BIP. Zudem werden ausgabenseitig Gebührenstaffelungen angewandt, die sich am Haushaltseinkommen orientieren. Insgesamt dürften von der Bereitstel lung öffentlicher Güter weitere, schwer messbare Verteilungswirkungen ausge hen. Schließlich sind nahezu alle politischen Fragen in letzter Konsequenz Ver teilungsfragen, bei denen Gerechtigkeitsargumente eine wichtige Rolle spielen. In Debatten geht es nahezu immer darum, wer profitiert - die Kehrseite, wer be zahlt, wird allerdings gerne unter den Tisch fallen gelassen oder nur von der Opposition gestellt. Ungleichheit kann in der Wahrnehmung verzerrt sein … Grund für die großen Sorgen trotz des ausgebauten Sozialstaats könnte viel mehr die wahrgenommene Ungleichheit sein, die laut Studien nicht ganz frei von kognitiven Dissonanzen ist. Diese Divergenz zwischen wahrgenommener und gemessener Einkommensungleichheit ist ein internationales Phänomen, deren Gründe nicht ganz eindeutig zu sein scheinen. Generell werden Einkom mensunterschiede in denjenigen Ländern negativer bewertet, in denen die emp fundene Ungleichheit höher ist. 10 Für Deutschland gilt, dass Menschen dazu neigen, die Breite der Mittelschicht zu unterschätzen und die der Einkommens schichten an den Rändern zu überschätzen. Das ist insofern erstaunlich, als Personen in unteren Einkommensdezilen ihre Position überschätzen, während für Individuen in höheren Einkommensschichten das Gegenteil der Fall ist - beide Gruppen ordnen sich also eher der Mitte zu. 11 Damit könnte auch zusam menhängen, dass allgemeine Präferenzen und persönliche Betroffenheit aus einanderfallen. In einer Untersuchung fragten Engelhardt und Wagener (2016) Teilnehmer nach einer Einschätzung ihrer Position in der Einkommensverteilung und ihrer Präferenz für Umverteilung. Nach Klarstellung der eigenen Einkom mensposition sank die Präferenz für Umverteilung bei denjenigen Teilnehmern, die erfahren haben, dass sie aufgrund ihrer Position Nettozahler sind. 12 Es liegt nahe, dass Individuen bei derartigen Einschätzungen auf verfügbare Evidenz in nerhalb ihres mitunter homogenen sozialen Umfeldes zurückgreifen. … und zu sozialer Segregation und politischer Polarisierung beitragen In der Tat weisen Studien darauf hin, dass zunehmende ökonomische Ungleich heit Segregation, Polarisierung und Extremismus fördern und damit die politi sche Stabilität gefährden könnte. In der Wahrnehmung der Individuen wird die Position innerhalb der Verteilung wichtiger und die Selbsteinordnung in Gruppen 8 Gemessen an der relativen Differenz des Gini-Index zwischen Markt- und verfügbaren Einkom men. 9 BMAS (2019). Sozialbudget 2019. 10 Judith Niehues (2014). Subjektive Ungleichheitswahrnehmung und Umverteilungspräferenzen. 11 Bublitz (2017). Misperceptions of income distributions: Cross-country evidence from a random ized survey experiment. 12 Engelhardt, Wagener (2016). What do Germans think and know about income inequality? A sur vey experiment. 0,83% 2,65% 1,04% 0,29% Elementarbereich Schulen Tertiärbereich Weiterbildung Öffentliche Ausgaben für Bildung, 2018 2 % des BIP Quelle: BMBF 19,4% 1,1% 2,5% 2,9% 5,6% Sozialversicherungssysteme Sondersysteme Systeme des öffentlichen Dienstes Arbeitgebersysteme Förder- und Fürsorgesysteme Struktur des Sozialbudgets, 2019 1 Quelle: BMAS % des BIP 15,6 16,5 25,7 22,4 12,3 4,1 3,3 25 17,6 15,1 15,1 12,1 8,5 6,6 Unten Mitte Oben Gemessen Wahrgenommen Ungleichheit in Deutschland 3 Quelle: Niehues (2014) Haushaltseinkommen Bevölkerungsanteil Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 4 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor würde zunehmend durch chancen- oder einkommensbezogene Indikatoren vor genommen. Politisch könnten entstehende homogene Gruppen populistische „Wir gegen Sie"-Diskurse befeuern und Selbstsegregation nach sozialen Milieus stärken. 13 Politische Phänomene wie die Gilets jaunes, Black Lives Matter, Brexit und der Aufstieg populistischer Parteien können als Ausdruck der Unzu friedenheit mit wachsender empfundener Ungleichheit im Sinne der Bevorzu gung bestimmter Gruppen vor der eigenen gesehen werden. Langfristig könnte Ungleichheit somit die politische Zersplitterung und den Zuspruch für extreme Parteien bzw. Politiken manifestieren. Politische Anreizprobleme treffen auf ökonomische Zielkonflikte Uneinigkeit und Anreizprobleme führen zum Kurieren von Symptomen … In den verteilungspolitischen Debatten besteht zumeist eine gewisse Einigkeit bei der Einschätzung von Symptomen, die Vielzahl unterschiedlicher Indikatoren bie tet allerdings Möglichkeiten zur interessengeleiteten Argumentation. Streit ent steht häufig bei der Frage nach den Ursachen und mehr noch bei der nach den geeigneten Maßnahmen. Im Ergebnis hat die Große Koalition in den vergangenen zwei Legislaturperio den eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, die monetäre Leistungen und Rechte/Ansprüche der Betroffenen und einzelner Klientelgruppen verbessert haben. Aus politökonomischer Sicht sind kurzfristig wirksame Verteilungsmaß nahmen durchaus rational, weil zunächst wenig Konfliktpotenzial besteht und die eigenen Wähler „belohnt" werden können (Rent seeking). Knappe Finanz mittel sind dennoch auf lange Frist gebunden - ist eine Leistung da, geht sie so schnell nicht wieder. … und verhindern die Behebung struktureller Probleme Insgesamt blieben die strukturellen Rahmenbedingungen für eine langfristige Besserstellung aus eigener Kraft, etwa durch bessere (Weiter-)Bildungsange bote, Zukunftsausrichtung des Arbeitsmarktes und Erschließungsmöglichkeiten neuer Einkommensquellen, weitgehend unverändert. Wichtige Investitionen in Schulen und Bürokratie, Infrastruktur und Innovationsförderung wurden in die Zukunft verschoben. Damit hätte nicht nur die Ungleichverteilung reduziert, son dern auch das langfristige Wachstumspotenzial und die Attraktivität des Wirt schaftsstandorts verbessert werden können. Perspektivisch wird sich daran ver mutlich nicht viel ändern, eher werden heterogenere Regierungskoalitionen die Einigung auf konsistente, zukunftsgerichtete Projekte weiter erschweren. Leistungsanreize oder Teilhabe Aus ökonomischer Perspektive spielen kurz- und langfristige Auswirkungen auf die Wirtschaft eine Rolle. Zu den Mechanismen existieren verschiedene Sicht weisen, die sich zumeist den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit oder der Be darfsgerechtigkeit zuordnen lassen. Erstere erachtet ein gewisses Maß an Un gleichheit als wachstumsfördernd, weil es Anreize zu Innovation und unterneh merischer Tätigkeit setzt. Zudem wird auf Effizienzverluste der (Umverteilungs-) Bürokratie hingewiesen. Die andere Sichtweise betont, dass ein gewisses Ein 13 Windsteiger (2017). The Redistributive Consequences of Segregation; Dorn et al (2018). Inequal ity and Extremist Voting: Evidence from Germany. Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 5 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor kommen notwendig sei, um am sozialen Leben teilzunehmen und intergenerati onale Mobilität zu gewährleisten. Bei zu großer Ungleichheit gingen der Gesell schaft potenziell Talente verloren, da sie aufgrund mangelnder materieller Aus stattung keine Chance auf eine gute Bildung und Entdeckung ihrer Potenziale haben. Letztlich sind die Sichtweisen durchaus kompatibel, die Debatte entzün det sich eher daran, wie Politik beide zum Ausgleich bringen kann. Sozialtransfers stabilisieren fehlende Nachfrage, können aber die Innovations dynamik schwächen Hohe Ungleichheit kann sich auch negativ auf die gesamtwirtschaftliche Nach frage auswirken, weil Haushalte mit höheren Einkommen relativ mehr sparen. Dies kann die Unternehmensgewinne aufgrund geringerer (Skalen-)Erträge re duzieren und zu Arbeitsplatzverlusten führen. In der globalisierten Welt können die Ersparnisse zudem ins Ausland abwandern und stehen damit auch nicht mehr für höhere inländische Investitionen zur Verfügung. Mit diesem Argument versucht Verteilungspolitik mittels Sozialtransfers die kurzfristige Nachfrage zu stabilisieren, sorgt aber gleichzeitig für eine Verdrängung der Nachfrage nach innovativen, qualitativ hochwertigeren Produkten in der langen Frist. Die Zielkonflikte spielen in der politischen Debatte oft keine Rolle Zumindest theoretisch könnte sich daraus ein aus ökonomischer Sicht „optima ler" Grad der Ungleichheit bzw. eine optimale Höhe der Transferausgaben erge ben. Allerdings dürfte diese zeit- und pfadabhängig sein. Die Ergebnisse empiri scher Bestimmungsversuche sind in hohem Maße von der Methode und den ge setzten Annahmen abhängig und oft interessengetrieben. In der gesellschaftli chen und politischen Debatte spielen ökonomische Trade-offs ohnehin kaum eine Rolle. Zumeist wird dort nur das Argument bemüht, mit dem das gerade verfolgte politische, gesellschaftliche Verteilungsziel unterstützt werden kann (Motivated reasoning). Fokussieren wir uns daher erst einmal auf die Evidenz. Bestandsaufnahme - global und in Deutschland Der Aufstieg Asiens verringert die globale Ungleichheit Bei der überwiegend national geführten Verteilungsdebatte wird häufig nicht re alisiert, dass auf globaler Ebene die Ungleichheit der Einkommensverteilung zwischen den Ländern aufgrund des Aufholprozesses Chinas und anderer asia tischer Staaten in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat. Der glo bale Gini-Koeffizient sank von 0,69 auf 0,65 von 2003 bis 2013. Im selben Zeit raum verdoppelte sich das globale Medianeinkommen, gemessen in realen Kaufkraftparitäten, von USD 1090 auf USD 2010. Die asiatische Mittelschicht und obersten Einkommen gewinnen zulasten der Unter- und Mittelschicht in Industrieländern Ungleichheitsforscher um Thomas Piketty zeigen, dass die größten Zuwächse in den globalen Einkommen zwischen 1980 und 2016 in den unteren vierzig sowie im obersten Prozent der globalen Einkommensverteilung verortet sind. Erstere sind insbesondere die Bewohner asiatischer Länder, die durch Industrialisierung und Arbeitsplatzschaffung enorm von der Globalisierung profitieren konnten. In den letzten 30 Jahren wurden auf diese Weise viele Millionen Menschen aus Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 6 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor der Armut gehievt. Stärker haben nur die globalen Top 1% von der Globalisie rung des Kapitalverkehrs und den Wertschöpfungsketten profitiert. Menschen in unteren und mittleren Schichten in Industrieländern profitierten am wenigsten. 14 In der Summe ging zwar wegen der globalen Angleichung der Einkommen die Ungleichheit global zurück - innerhalb der Länder nahm sie jedoch zu. In den aufholenden asiatischen Ländern ist eine urbane Mittelschicht entstanden, die sich einkommensseitig von der ländlichen Bevölkerung abgesetzt hat. In westli chen Ländern verloren die Einkommensmittel- und -unterschicht. Der Anteil der unteren 50% am Nationaleinkommen sank hier in nahezu allen Ländern. In Deutschland ging er zwischen 1980 und 2019 um vier Prozentpunkte auf 19% zurück. Die obersten 10% bauten ihren Anteil an den Wohlstandszuwächsen aus. In Deutschland liegt ihr Anteil am Nationaleinkommen nun bei rund 38%. Der Teil der Bevölkerung zwischen dem 50. und 90. Perzentil erhält in Deutsch land heute rund 44% des erwirtschafteten Einkommens. Westeuropäische Län der waren insgesamt allerdings erfolgreicher als die USA, die Divergenz der Vorsteuereinkommen strukturell zu verlangsamen. Die letzte größere Drift der Einkommensverteilung ist 2013 zu verorten. 15 Kontinentaleuropäische Industrieländer verteilen am meisten um Im Vergleich der OECD-Länder sind die Einkommenk, gemessen am Gini-In dex, in Deutschland mit rund 0,53 Punkten relativ ungleich. Lediglich in den an gelsächsischen Volkswirtschaften - USA, das Vereinigte Königreich und Irland - und in Italien sind sie ähnlich ungleich verteilt, doch nur in Irland wird in ähnli chem Ausmaß umverteilt. Die Ungleichverteilung der Markteinkommen ist bei Deutschlands kontinentaleuropäischen Nachbarn geringer, aber die Umvertei lung ist ähnlich ausgeprägt. Länder mit geringerem Pro-Kopf Einkommen außer halb Europas verteilen, vermutlich aufgrund mangelnder Mittel, weniger um. Es besteht insgesamt allerdings kein direkter Zusammenhang zwischen der (Un gleich-)Verteilung der Markteinkommen und dem Lebensstandard. Vielmehr ist die Verteilung der verfügbaren Einkommen das Ergebnis des gewählten Sozial staatmodells. Der Grad der Umverteilung hängt offensichtlich von den Präferen zen der Bevölkerung bezüglich der Rolle des Staates in der (Re-)Allokation von Einkommen ab. 14 Alvaredo et al (2018). The Elephant Curve of Global Inequality and Growth. 15 Alvaredo et al (2018). World Inequality Report 2018. 0 50 100 150 200 250 Einkommensperzentil Aufstieg der Schwellenländer Untere 90% in den USA und Westeuropa Einkommenswachstum der globalen Einkommensgruppen 4 Durchschnittlicher Zuwachs der Realeinkommen (%) Quelle: WIR (2018). Globale 1% 0,1 0,15 0,2 0,25 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 2016 2019 Westeuropa USA Deutschland Anteil der unteren 50% am Einkommen 5 % des Nationaleinkommens vor Steuern Quelle: WID 0,2 0,25 0,3 0,35 0,4 0,45 0,5 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 2016 2019 Westeuropa USA Deutschland Anteil der obersten 10% am Einkommen 6 % des Nationaleinkommens vor Steuern Quelle: WID Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 7 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor Einkommensungleichheit in Deutschland seit 2005 nahezu konstant Gemessen am Gini-Koeffizienten stieg die Ungleichverteilung der Markteinkom men in Deutschland - mit seinen intensiven Verflechtungen in die internationale Arbeitsteilung - seit 1973 bis ungefähr 2005 an. 16 Zunehmende Umverteilung hat die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen lange relativ stabil gehalten oder sogar gesenkt. In den letzten 15 Jahren seit 2006 liegt der Index für Markteinkommen, abgese hen von einem Sprung um 2013, relativ konstant bei etwa 0,55 Punkten. Einem initialen Anstieg der Ungleichheit in den Markteinkommen, vermutlich mit den im Zuge der Agenda 2010 im Jahr 2005 umgesetzten Hartz-Reformen, standen Transfers und positive Arbeitsmarkttrends gegenüber, die den Anstieg der Un gleichheit gemessen an den verfügbaren Einkommen zum Teil absorbiert ha ben. Die Entwicklung des Gini-Index verdeutlicht, dass sich zumindest auf ag gregiertem Niveau die Verteilung der Einkommen zuletzt nicht nennenswert ver ändert hat. Einkommen divergierten, doch untere Einkommensschichten holten zuletzt auf Die realen verfügbaren Einkommen haben in allen Dezilen der Verteilung seit 2005 zugenommen. Die Entwicklung geschah in zwei Episoden. Die Jahre 2006 bis 2014 sind von Divergenz geprägt. Ab 2015 hat ein Aufholprozess eingesetzt, in dem die Einkommen der unteren Hälfte der Verteilung im Durchschnitt um etwa einen Prozentpunkt stärker stiegen. Auf die Verteilung des gesamten ver fügbaren Einkommens hatten die unterschiedlichen Wachstumsraten kaum Ein fluss. 16 Die Standardized World Inequality Database (SWIID) liefert die umfassendsten international ver gleichbaren Schätzungen der Einkommensungleichheit auf Länderebene. 0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 70.000 80.000 90.000 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 COL CHI CRI MEX TUR LAT GRE HUN POL POR LIT EST SLO CZE ISR ESP ITA NZA FRA GBR FIN CAN AUS BEL SWE GER AUT NED DEN USA NOR IRE Gini (Markteinkommen) Gini (verfügbare Einkommen) Pro-Kopf-Einkommen Einkommensungleichheitund Wohlstand in der OECD, 2017 8 Gini-Index (0 = Gleichheit, 1 = Ungleichheit) BIP pro Kopf, KKP-$ Quellen: SWIID, Weltbank 0,2 0,25 0,3 0,35 0,40 0,45 0,50 0,55 0,60 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Markteinkommen Verfügbare Einkommen Umverteilung Ungleichheit in Deutschland 10 Gini-Index (Markteinkommen) Gini-Index (Verfügbare Einkommen) | Umverteilung Quellen: Eurostat, Deutsche Bank Research R² = 0,30 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0 20.000 40.000 60.000 80.000 100.000 BIP pro Kopf, KKP-$ Einkommensungleichheitund Wohlstand 7 Gini-Index der verfügbaren Einkommen, 2017 Quellen: SWIID, Weltbank R² = 0,47 -30% -20% -10% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 0 20.000 40.000 60.000 80.000100.000 BIP pro Kopf, KKP-$ Umverteilung und Wohlstand 9 Umverteilung (% der Ungleichheit), 2017 Quellen: SWIID, Weltbank, Deutsche Bank Research Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 8 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor Aufgrund staatlicher Unterstützungsleistungen hatte Corona kurzfristig wenig Einfluss auf die Verteilung. Langfristig droht wachsende Ungleichheit Die Corona-Pandemie hat das Berufsleben vieler Menschen komplett verändert. Im Einzelhandel, Restaurant- und Kulturbetrieb mussten viele ihre Tätigkeiten über lange Zeit einstellen. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ha ben Menschen an den unteren Enden der Einkommensverteilung aufgrund ihrer beruflichen oder sozialen Lage am stärksten getroffen. Das gilt im Besonderen für Alleinerziehende mit Kindern, Migranten und Menschen in nicht sozialversi cherungspflichtigen Jobs. Der Staat hat kurzfristig die Einkommenseinbußen durch umfangreiche Maßnahmen abfedern können. Die untersten zwei Einkom mensdezile haben laut einer Studie sogar profitiert. 17 Langfristig droht die Un gleichheit allerdings aufgrund der eingeschränkten Förderungs- und Bildungs möglichkeiten, des beschleunigten Strukturwandels und permanenten Wegfalls von Arbeitsplätzen zuzunehmen. 18 Treiber und Einflussfaktoren Die Einkommensverteilung ist Ergebnis des Gesellschaftssystems und seiner spezifischen Wirtschaftsstruktur sowie der historisch gewachsenen Verteilung der Produktionsfaktoren. Dementsprechend vielschichtig sind die Treiber der (Ungleich-)Verteilung. Standortverlagerungen und technologischer Wandel, … Im Zuge der Globalisierung wurden Teile der Wertschöpfungskette ins Ausland verlagert und zahlreiche Jobs im Ausland geschaffen. Technologischer Fortschritt versetzte Unternehmen in die Lage, Produktionsprozesse zu automatisieren. Bei des reduzierte die Nachfrage nach gering- bis mittelqualifizierten Arbeitskräften im produktiven Gewerbe 19 , deren Anteil insbesondere in den 1990er Jahren bis ca. 2005 erheblich sank und deren Abwärtstrend im Unterschied zu den USA un ter anderem durch den Anstieg der Exporte nach China gestoppt wurde. Gleich zeitig setzte ab 2006 eine starke Zunahme der Beschäftigung im Dienstleistungs sektor, insbesondere in Teilzeitstellen, ein, die mutmaßlich zur Polarisierung in 17 Bruckmeier et al (2020). COVID-19 Krise: Kein Anstieg der Einkommensungleichheit. 18 Leopoldina (2021). Ökonomische Konsequenzen der Coronavirus-Pandemie. 19 Geishecker (2002). Outsourcing and the Demand for Low-skilled Labour in German Manufactur ing: New Evidence. -2% -1% 0% 1% 2% 3% 4% 5% 0,05 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 0,95 0,99 2006-2014 2015-2019 Gesamt Reale Einkommenszuwächse nach Perzentilen, 2006-2019 11 Durchschnittliches jährliches Wachstum der realen verfügbaren Einkommen (%) Quellen: Eurostat, DB Research Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 9 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor großen Städten beigetragen hat. 20 Lohnpolarisierung innerhalb von Industrien ist unter anderem auf Unternehmen mit hoher Produktivität und Innovationskraft zu rückzuführen, die ihre Mitarbeiter für die gleichen Aufgaben besser entlohnen als ihre Konkurrenten. Zudem beinhalten die durch Innovation neu geschaffenen Ar beitsplätze zumeist komplexe und besser entlohnte Tätigkeiten. 21 … sinkende Gewerkschaftsmacht … Negativ auf die Lohnentwicklung dürfte sich zudem der abnehmende Organisa tionsgrad der Arbeitnehmer und die Entwicklung der Tarifabdeckung ausgewirkt haben. Die Anzahl der Mitglieder in Gewerkschaften des DGB hat sich seit 1994 um rund vierzig Prozent auf 5,8 Millionen reduziert. So hat sich der Anteil der ohne Tarifvertag Beschäftigten in Westdeutschland in den letzten 20 Jahren na hezu verdoppelt, von 29 Prozent im Jahr 2001 auf 47 Prozent 2020. In Ost deutschland nahm er dagegen im gleichen Zeitraum von 43,8 Prozent auf 57 Prozent zu. Zudem wurde die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften durch die Möglichkeit der Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland be schränkt. 22 Der sinkenden Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer im Niedrig lohnsegment wirkte 2015 die Einführung des Mindestlohns entgegen, der einen relativ großen Teil der Lohnzuwächse in dem anschließenden Zeitraum erklären kann. 23 … und erhöhte Migrationsströme üben Druck auf die Einkommensentwicklung am unteren Ende der Verteilung aus Am unteren Ende des Arbeitsmarkts kommt verstärkend hinzu, dass die Zu nahme der Migrationsströme aus Osteuropa in den 90ern und Nullerjahren das Angebot ausgeweitet hat und somit für einen zusätzlichen Lohndruck sorgt. Die Zuströme Geflüchteter - insbesondere ab 2015 - dürften den Effekt mittelfristig verstärken. Dabei geht es nicht nur um die direkten Arbeitskräfte, sondern per spektivisch um die zweite und dritte Generation, deren Zugang zu Bildungs chancen aktuell wesentlich schlechter ist. Menschen mit Migrationshintergrund sind zudem seltener in Gewerkschaften organisiert. Finanzielle Globalisierung ... Die Globalisierung hatte neben der direkten Auswirkung auf den Arbeitsmarkt auch die Spielräume für das staatliche Steuer- und Transfersystem reduziert. Die Liberalisierung von Kapitalmärkten hat die Mobilität und dadurch die Rendi tepotenziale des Produktionsfaktors erhöht und Steuersysteme unter Druck ge setzt. Vor dem Hintergrund wurde in westlichen Industrieländern die Besteue rung von Unternehmensgewinnen reduziert und durch höhere Konsumsteuern ersetzt, die tendenziell untere Einkommensschichten aufgrund höherer Kon sumquoten überproportional belasten. Höhere Sozialversicherungsabgaben re duzierten die verfügbaren Einkommen von Arbeitnehmern mit mittlerem Einkom men. 20 Dauth, Findeisen, Suedekum (2017). Trade and Manufacturing Jobs in Germany; Dauth (2014). Job polarization on local labor markets. 21 Cortes et al (2020). Technological Change, Firm Heterogeneity and Wage Inequality. 22 Felbermayr, Baumgarten (2014). Increasing Wage Inequality in Germany. What Role Does Global Trade Play? 23 Bossler, Schank (2020). Wage Inequality in Germany after the Minimum Wage Introduction. 0 2 4 6 8 10 12 14 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 Arbeitslosigkeit 13 Arbeitslosenquote der zivilen Erwerbspersonen (%) Quelle: Statistisches Bundesamt 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 Gesamtdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland Tarifbindung in Deutschland 12 % der Beschäftigten Quellen: WSI, IAB-Betriebspanel Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 10 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor … und sozio-demografische Faktoren setzen Einkommensverteilung unter Druck Neben den Veränderungen ökonomischer Strukturen seit den 1980ern Jahren haben soziale Faktoren eine große Rolle gespielt. Die Bildungsoffensive hat den Anteil der Studierenden stark steigen lassen. Der Einkommensverzicht dürfte kurzfristig die Ungleichheit verglichen mit gleichaltrigen Arbeitenden erhöht ha ben, langfristig dürften höhere Einkommenszuwächse und die Möglichkeit zum Aufbau von Kapitaleinkommen gewirkt haben. Weiterhin dürfte die Verringerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße zu wachsender Einkommensungleichheit beigetragen haben. Die Anzahl der alleinstehenden und alleinerziehenden Haushalte hat sich seit den 1990er Jahren erhöht. Laut Jahresgutachten 2017/2018 des Sachverständigenrates (SVR) seien die Einkommen innerhalb der beiden Haushaltstypen verglichen mit Paarhaushalten ungleicher verteilt. 24 Wo sollte die Politik ansetzen? Unser Bildungssystem muss mehr Chancenbereiter sein ... Gute Bildung ist ein Chancenbereiter für eine freiere Berufswahl, anspruchsvol lere Tätigkeiten und die Generierung innovativer Ideen. Zusätzlich zu den Mög lichkeiten der Verdienstzuwächse ist höhere Bildung zunehmend eine Notwen digkeit. Gut bezahlte Stellen in teilweise gänzlich neuen Branchen erfordern hö here Qualifikationen. Allerdings sind Bildungsergebnisse in Deutschland noch immer stärker durch die Herkunft und das soziale Milieu geprägt als in vielen an deren Ländern. 25 Bereits vor Corona stand das Bildungssystem vor Herausfor derungen. Laut BMBF stagniert der Anteil der Gymnasialschüler unter Kindern in der 8. Klasse seit 2010 bei 38%. Insbesondere die Qualifikation von Zugezo genen stellt eine Herausforderung dar. 2018 betrug der Ausländeranteil an Gymnasien gerade einmal 5%, verglichen mit 25% auf der Hauptschule. 26 Die Pandemie hat die herkunftsbedingte Ungleichheit der Kompetenzentwicklung weiter verschärft und könnte langfristig negative Auswirkungen auf die Einkom mensentwicklung haben. Maßnahmen zum Gegensteuern ließen sich aufteilen in solche, die individuelle Leistungen und Engagement belohnen und auf Eigen initiative, z.B. in Form von Mentoring- und Förderangeboten setzen, und solche, die Belastungen während der Aus- und Weiterbildung durch Transfers und Kos tenübernahmen abfedern. Dem übergeordnet stehen strukturelle Maßnahmen, die auf die Orientierung der Lerninhalte an zukunftsrelevanten Themen und die qualitative Weiterentwicklung der Lehre abzielen. 27 Politisch herrscht Einigkeit über das Ziel, über das „Wie" wird entlang der Parteilinien heftig gestritten, da insbesondere hinter den beiden Erstgenannten unterschiedliche Gerechtigkeits prinzipien stehen. … und könnte dabei langfristig Wachstum sichern und zu Lohnangleichung füh ren Bildung determiniert zu einem großen Teil das spätere Einkommen. Deutsch land hat hier im internationalen Vergleich noch viel Potenzial. Im OECD Durchschnitt 24 Sachverständigenrat (2018). Jahresgutachten 2017/2018. 25 BMBF (2020). Bildung in Deutschland 2020. 26 BMBF (2020). Bildung und Forschung in Zahlen 2020. 27 Die Wissenschaftsakademie Leopoldina hat zuletzt umfangreiche Vorschläge gemacht. Hanushek, Woessmann (2020). The economic impacts of learning losses. Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 11 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor verdienen Vollzeitbeschäftigte rund 54% mehr als Gleichaltrige ohne Tertiärab schluss - in Deutschland sind es 60%. Volkswirtschaftlich steigt mit Ausweitung von Qualifikationschancen das Angebot von Fachkräften. Sie würden das allge meine Niveau anheben und mehr Segmente des Arbeitsmarktes durchdringen. Dadurch würden die Bildungsrenditen steigen und damit die Einkommensun gleichheit zwischen den Qualifikationsstufen sinken. Bildung weckt Kreativität und Neugier und schafft Selbstbewusstsein für neue Aufgaben und Verantwor tung. Tatsächlich sind die größten Einkommensanstiege als Angestellte auf Be förderungen in den ersten Berufsjahren zurückzuführen, in denen junge Men schen energiegeladen aus der Ausbildung kommen. 28 Menschen mit tertiärem Abschluss gründen darüber hinaus überdurchschnittlich häufig Unternehmen - ein Prozess, der für alle Bevölkerungsgruppen strukturell vereinfacht werden muss. Im internationalen Vergleich ist die Gründerquote in Deutschland sehr gering. Umfragen verweisen insbesondere auf bürokratische Hürden, mangelnde Finanzierung und unzureichende Vorbereitung im gesell schaftlichen Kontext. 29 Das manifestiert sich insbesondere dadurch, dass die Fortführung einer Familientradition laut GEM-Expertenbefragung das wichtigste Gründungsmotiv ist. Insgesamt spielt die (Aus-)Bildung die Hauptrolle darin, Chancen zu sozialer Mobilität durch gute Jobs und Innovationsgeist zu generie ren. Daher sollte man vermehrt an der bedarfsgerechten inhaltlichen Qualität der schulischen Ausbildung ansetzen, um kognitive Potenziale schon früh zu fördern und gute Abschlüsse zu ermöglichen, ohne dabei die Qualität der Ab schlüsse zu verwässern. Eingriffe in die Lohnstruktur sollten nur eine Ultima Ratio sein In Zukunft wird jedoch auch der Bedarf an Arbeitskräften mit tendenziell niedri ger fachlicher Qualifikation im Bereich der manuellen, nicht skalierbaren Dienst leistungen zunehmen. Die Corona-Pandemie hat uns die herausragende Be deutung vieler Berufe in diesem Feld vor Augen geführt. Hier wird die Entloh nung letztlich oftmals zur Gerechtigkeitsfrage erhoben. Der Staat kann durch direkte und indirekte Maßnahmen auf die Lohnentwick lung einwirken. Das prominenteste direkte Instrument ist der Mindestlohn, der bereits 2015 (aktuell beträgt er EUR 9,50/Stunde) eingeführt wurde. Zumindest bislang sind befürchtete negative Effekte auf die Beschäftigung nur in geringe rem Maße eingetreten. Der Mindestlohn kann sinnvoll sein, wenn die Verhand lungsmacht der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber strukturell zu schwach ist, um der Produktivität entsprechende Löhne durchzusetzen. Auf eher indirektem Wege kann der Staat durch das Setzen der Löhne im öffentli chen Dienst in den Wettbewerb eingreifen. Das trifft vor allem auf Bereiche zu, in denen der Staat unmittelbar mit privaten Arbeitgebern in Konkurrenz steht, z.B. im Erziehungs-, Bildungs- oder Gesundheitssektor. Höhere Löhne bei staat lichen Dienstleistern könnten Lohndruck nach oben auf die Privaten ausüben. Alternativ könnte der Staat mittels Auflagen zur Einhaltung von Tarifstandards für öffentliche Aufträge Anreize für bestimmte Branchen setzen. Ob eine Präferenz für die dauerhafte Anhebung der Löhne über das Niveau der - schwer messbaren - Produktivität bestimmter Berufsgruppen besteht, zeigt sich in der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. Letztlich sind Unternehmen langfristig nur in der Lage höhere Löhne zu zahlen, wenn sie die zu deren Zah lung nötigen Preise auf dem Markt durchsetzen können. Solange der Preis das primäre Kriterium für Konsumentscheidungen ist, wird Lohndruck in diesen Be rufen bestehen bleiben. Eine Politik, die diese „natürliche" Divergenz anerkennt, 28 Bayer, Kuhn (2019). Which Ladder to Climb? Decomposing Life Cycle Wage Dynamics. 29 KfW-Gründungsmonitor (2020); Global Entrepreneurship Monitor (2020). COL CRI MEX CHI TUR LAT GRE HUN POL POR LIT EST SLO CZE ISR ESP ITA NZA FRA GBR FIN CAN AUS BEL SWE GER AUT NED DEN USA NOR IRE 100 120 140 160 180 200 220 240 260 20 40 60 80 25-34-Jährige mit tertiärem Abschluss Bildungsrendite des Studiums (%) Akademikeranteil und Bildungsrendite 15 Quelle: OECD COL CRI MEX CHI TUR LAT GRE HUN POL POR LIT EST SLO CZE ISR ESP ITA NZA FRA GBR FIN CAN AUS BEL SWE GER AUT NED DEN USA NOR IRE 100 120 140 160 180 200 220 240 260 0,2 0,3 0,4 0,5 Gini-Index verfügbarer Einkommen Ungleichheit und Bildungsrendite 14 Bildungsrendite des Studiums (%) Quellen: OECD, SWIID Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 12 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor müsste an der Verteilung der Primäreinkommen ansetzen, d.h. direkt in die Lohnstruktur eingreifen - dies bleibt ein ordnungspolitischer Balanceakt. Die Korrektur der Primärverteilung durch das Steuer- und Transfersystem muss effektiver werden Wo die Primärverteilung adressierende Maßnahmen nicht wirken (können), kann der Staat durch Transferleistungen die Ungleichheit der verfügbaren Ein kommen glätten. Hier liegt der Trade-off zwischen der Generosität der Maßnah men und der Gefahr adverser Anreizsetzung. Sie sollten daher eher als Ergän zung zu Maßnahmen vor und entlang der Primärverteilung dienen. Die Komple xität individueller Hintergründe und sozialer Umstände erschwert das genaue Adressieren der Bedürftigen und sind mit beidseitig höheren Kosten der Bean spruchung bzw. Kontrolle der Anspruchsprüfung verbunden. Ein „Verteilen mit der Gießkanne" erfährt aufgrund von Anreizproblemen und Mitnahmeeffekten nur geringe Akzeptanz bei den Steuerzahlern. In diesem Spannungsfeld wirken viele gut gemeinte Einzelmaßnahmen für Ge ringverdienende aufgrund der Interaktion komplexer Anspruchsbeziehungen teilweise sogar kontraproduktiv. Der Fokus der Politik sollte daher darauf liegen, nicht mehr, sondern erst einmal effektiver umzuverteilen und gleichzeitig mehr Anreize für zusätzliche Verdienste zu bieten. Das ifo Institut hat 2018 in einer Studie gezeigt, dass die effektive Grenzbelastung bei Familien im unteren Ein kommensbereich zwischen 80 und 100% liegt. Jeder zusätzlich verdiente Euro kommt aufgrund impliziter Besteuerung bzw. des Wegfalls von Leistung dem Nettoeinkommen also nur mit maximal 20 Cent zugute. Bei Einkommen zwi schen EUR 1.750 und 2.500 Haushaltsbruttoeinkommen bleibt je nach Famili enkonstellation nichts von dem Mehrverdienst übrig, weil zuvor gezahlte Unter stützungen (zu schnell) abgeschmolzen werden oder sich gegenseitig aufhe ben. 30 Vor dem Hintergrund der Komplexität erscheinen einfache und übersichtliche Konzepte sinnvoller. Von liberaler Seite wird häufig eine negative Einkommens steuer ins Spiel gebracht, wie sie unter anderem von Milton Friedmann vorge schlagen wurde. Dabei würden Einkommen unterhalb einer festgelegten Grenze mit einem Steuersatz auf die Entfernung zum Grenzwert belegt. Die so berech nete Steuer würde dann als Einkommen vom Staat bezahlt. Verfechter argu mentieren, der Vorteil des Systems liege darin, dass keine negativen Arbeitsan reize entstünden, weil Haushalte immer von höherem Einkommen profitierten. Zweitens belaste es Unternehmen nicht zusätzlich. Drittens wäre sie effizient, weil sie nicht aktiv auf dem Arbeitsmarkt eingreifen würde. Eine Anpassung an die Lohnentwicklung wäre relativ unkompliziert möglich. Die Grenze selbst un terläge allerdings sehr stark politischen Machtverhältnissen. Eine radikalere Alternative wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Hier wird jedem Menschen, unabhängig von der Bedürftigkeit, ein fixer Betrag überwiesen. Damit wird aber der Anspruch einer Zielgruppen-gerichteten Wir kung vollständig aufgegeben. Die Anreizwirkung ist unklar. Auf der einen Seite dürften Mitnahmeeffekte entstehen und Empfänger könnten ihre Arbeitszeit zu gunsten von mehr Freizeit reduzieren. Auf der anderen Seite könnten aber durch ein BGE auch Gelegenheiten für (Weiter-)Bildung und unternehmerische Tätigkeit geschaffen werden, die sonst aufgrund der temporären Einkommens verluste für viele nicht möglich sind. Außerdem ist unklar, inwieweit eine Kopf pauschale effektiv den Wegfall anderer Leistungen kompensieren würde, der von Befürwortern argumentiert wird. Eine Policy Note der OECD aus dem Jahr 30 Bruckmeier et al (2018). Mehr Arbeitsanreize für einkommensschwache Familien schaffen. Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 13 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor 2017 hat vorgerechnet, dass ein budgetneutrales BGE kaum Vorteile für untere Einkommensschichten hätte. 31 Letztlich wird die Entwirrung des Sozialtransfersystems ein Kraftakt, der nicht durch ideologisch geleitete Forderungen gelingt, sondern für den zunächst ope rativer Pragmatismus, kritische und unabhängige Evaluierungen bestehender und geplanter Maßnahmen insbesondere mit Blick auf deren Wechselwirkungen notwendig sind. Fazit Historisch betrachtet befindet sich die Ungleichheit der Markteinkommen in Deutschland als Resultat verschiedener gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklungen im späten 20. Jahrhundert auf einem relativ hohen Level, dem der Staat durch ein hohes Maß an Umverteilung entgegenwirkt. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung stagniert die gemessene Ungleichverteilung seit Mitte der 2000er Jahre weitestgehend. Dass dennoch zunehmend Rufe nach staatlicher Umverteilung laut werden, ist wohl eher auf wahrgenommene Un gleichheit und die inflationäre und opportunistische Verwendung des Begriffs „Ungerechtigkeit" durch jedwede Interessengruppe als ultimatives, nicht zu übertrumpfendes Argument zur Begründung der jeweiligen Forderungen zurück zuführen. Außerdem dürften ungleiche Bildungschancen und begrenzte soziale Mobilität sowie die generelle Polarisierung der politischen Debatte eine Rolle spielen. Unseres Erachtens wäre es sinnvoll, wenn der Staat den Menschen Anreize und Chancen bieten würde, durch eigenverantwortliches wirtschaftliches Han deln, Bildung und Unternehmertum aufzuschließen. Wir sehen eine ausgewoge nere Primärverteilung als Resultat guter Politik, die Leistungsanreize setzt und Catch-up-Prozesse innerhalb von Gesellschaften ermöglicht. Dies wäre den Be troffenen und dem Steuerzahler gegenüber fairer und die Gesellschaft insge samt würde langfristig mehr profitieren als von Ad-hoc-Umverteilung in kleinteili ger Klientelpolitik und überbordender Bürokratie. Wo das aufgrund objektiver Gegebenheiten nicht möglich oder schlicht zu spät ist, kann der Staat in die Einkommensverteilung aktiv eingreifen. Dabei besteht die Gefahr der Ex-post-Umverteilung der Markteinkommen in inhärenten Effi zienzverlusten durch erhöhte Bürokratie, Fehlallokation und adverse Anreizwir kung sowie den Anreiz für Politiker, Partikularinteressen im politischen Prozess durchzusetzen. Bei grundlegenden verteilungspolitischen Maßnahmen sollte die Politik die damit intendierten positiven und negativen Verteilungseffekte offenle gen. Dies gelingt offenkundig durch klare, einfache Leitregeln. Unabhängige In stitutionen sollten Verteilungswirkungen evaluieren und die politischen Akteure öffentlichkeitswirksam zu Korrekturen anhalten. 31 OECD (2017). Basic income as a policy option: Can it add up? Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 14 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor In der kommenden Dekade dürften die Digitalisierung und künstliche Intelligenz, der Weg hin zu einer CO 2 -neutralen Gesellschaft, retardierende Effekte der Glo balisierung und die schrumpfende Erwerbsbevölkerungen durch ihre asymmetri schen Wirkungen neue, tendenziell schärfere Verteilungskonflikte mit sich brin gen - insbesondere da diese Trends insgesamt wohl eher das Potenzialwachs tums verringern werden und damit geringere Einkommenszuwächse für Umver teilung zu Verfügung stehen werden. Der Politik dürfte es zunehmend schwerer fallen, die Ansprüche einer alternden, auf den Schutz des Status quo fixierten Gesellschaft zu erfüllen, ohne die Leistungsfähigkeit des Systems zu überfor dern. Stefan Schneider (+49 69 910-31790, stefan-b.schneider@db.com) Henry Minör Box 1: Umverteilung in der politischen Philosophie 16 Die auf Werturteilen basierte Einschätzung des „optimalen" Grads von Ungleichheit wirft Fragen nach Fairness und Gerechtigkeit auf. Aus ökonomi scher Perspektive hat sich das Konzept des Utilitarismus durchgesetzt. Gerecht ist hier das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl - eine Maximierung der Summe der gesellschaftlichen Wohlfahrt, operationalisiert durch das Streben nach einer möglichst hohen Wachstumsrate des Brutto inlandsprodukts. Hierbei handelt es sich allerdings immer um Netto-Betrachtungen, welche die Veränderungen für einzelne (Gruppen von) Individuen nicht berücksichtigt. Aus klassischer Sicht ergibt sich das größtmögliche Glück, wenn jede Einzelperson unter Freiheit individuell rational handelt. Die Sichtweise impliziert, dass der Staat in die ursprüngliche Verteilung so wenig wie nötig eingreift, weil jeder Eingriff mit Zwang verbunden ist und somit die Freiheit und das individuelle Potenzial einschränkt. In einer abgeschwächten Variante kann unterstellt werden, dass der Staat die Rahmen bedingungen stellen sollte, der die Wahlfreiheiten der Bürger einer Gesellschaft maximiert und somit die Innovationskraft und wirtschaftliche Leistungs fähigkeit erhöht. Ergebnisse der Verhaltensökonomik haben die Annahme rationalen Verhaltens im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zunehmend infrage gestellt. Menschen seien vielmehr der Gefahr von kognitiven Dissonanzen ausgesetzt, handeln zu einem gewissen Grad altruistisch und legen Wert auf Rezi- prozität und Sozialität. Kognitive Dissonanzen materialisieren sich unter anderem in einer erhöhten Gegenwartspräferenz, bzw. einer Fehleinschätzung von zukünftigen Renditen, und einer überproportionalen Verlustaversion bei der Einschätzung von erwarteten Erträgen. Menschen neigen dazu, einen Teil ihres Einkommens und ihrer Zeit für das gesellschaftliche Wohl einzusetzen und sind stark von Affektivität und sozialen Dynamiken beeinflusst. Zudem wird aus politökonomischer Sicht die Freiheit einzelner Individuen und Gruppen durch implizit asymmetrische Machtverhältnisse strukturell unterminiert, die es zu korrigieren gilt. Legt man diese Sichtweisen zugrunde, so ergibt sich eine weitaus aktivere Rolle des Staates, die durch gezielte Interventionen Anreize zur Korrektur „irrationaler" Verhaltensweisen bietet. In den meisten Gesellschaften hat sich diese Argumentation durchgesetzt, so auch in Deutschland. Letztlich ist die Frage, inwieweit die (wirtschaftliche) Freiheit Einzelner eingeschränkt werden sollte, um negative allokative Resultate des Produktions prozesses für bestimmte Gruppen zu korrigieren. Box 2: Wie wird Einkommensungleichheit gemessen? 17 Es gibt verschiedene Ansätze zur Vermessung der Einkommensungleichheit. Zwei Fragen sind relevant: Was wird gemessen? Und wie wird es ge messen? Hinter der ersten Frage verbirgt sich die Auswahl zwischen der Art der Einkommen, die zu messen sind. Das Markt- und das Haushaltsnetto einkommen (bzw. verfügbares Einkommen) werden als Größen herangezogen. Das Markteinkommen ist ein Bruttokonzept und erfasst Einkommen aus selbstständiger und abhängiger Beschäftigung sowie aus Vermögen und pri vate Transfers. Das Haushaltsnettoeinkommen unterscheidet sich insofern, als es die verfügbaren Einkommen nach der Berücksichtigung von Steuern (und staatlichen Transfers) als Grundlage nutzt. Die zweite Frage betrifft die Messmethodik. International hat sich der Gini-Index (bzw. Gini-Koeffizient) als Standardwerkzeug zur Messung der Un gleichheit durchgesetzt. Er nimmt einen Wert zwischen null und eins an. Bei einem Wert von null wären die Einkommen komplett gleich verteilt und, andersherum, bei einem Wert von eins vollständig bei einer Person konzentriert. Der Vorteil des Gini ist, dass er die gesamte Verteilung abbildet und in einer einzigen Zahl aggregiert. Legt man die Markteinkommen und die verfügbaren Einkommen als Datenbasis zugrunde und berechnet die jeweiligen Gini-Koeffizienten, so stellt die Differenz der beiden ein aggregiertes Maß für die Umverteilung mittels Steuern und Transfers dar. Alternativ zum Gini können Verhältnisse einzelner Einkommensperzentile oder Anteile bestimmter Perzentile an den erwirtschafteten Einkommen herangezogen werden. Sie geben Aufschluss darüber, wie „flach" der Verteilung an einer bestimmten Stelle verläuft und wie stark einzelne Schichten von der Wertschöpfung profitieren. Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 15 | 30. August 2021 Deutschland-Monitor In der Reihe „Deutschland-Monitor" greifen wir politische und strukturelle Themen mit großer Bedeutung für Deutschland auf. Darunter fallen die Kommentierung von Wahlen und politischen Weichenstellungen sowie Technologie- und Bran chenthemen, aber auch makroökonomische Themen, die über konjunkturelle Fragestellungen - die im Ausblick Deutsch land behandelt werden - hinausgehen. Deutschland-Monitor © Copyright 2021. Deutsche Bank AG, Deutsche Bank Research, 60262 Frankfurt am Main, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten. Bei Zitaten wird um Quellenangabe „Deutsche Bank Research" gebeten. Die vorstehenden Angaben stellen keine Anlage-, Rechts- oder Steuerberatung dar. Alle Meinungsaussagen geben die aktuelle Einschätzung des Ver fassers wieder, die nicht notwendigerweise der Meinung der Deutsche Bank AG oder ihrer assoziierten Unternehmen entspricht. Alle Meinungen kön nen ohne vorherige Ankündigung geändert werden. Die Meinungen können von Einschätzungen abweichen, die in anderen von der Deutsche Bank veröffentlichten Dokumenten, einschließlich Research-Veröffentlichungen, vertreten werden. Die vorstehenden Angaben werden nur zu Informations zwecken und ohne vertragliche oder sonstige Verpflichtung zur Verfügung gestellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Angemessenheit der vorste henden Angaben oder Einschätzungen wird keine Gewähr übernommen. In Deutschland wird dieser Bericht von Deutsche Bank AG Frankfurt genehmigt und/oder verbreitet, die über eine Erlaubnis zur Erbringung von Bankge schäften und Finanzdienstleistungen verfügt und unter der Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bundesanstalt für Finanzdienstleis tungsaufsicht (BaFin) steht. 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Druck: HST Offsetdruck Schadt & Tetzlaff GbR, Dieburg ISSN (Print): 2511-1663 Unsere Publikationen finden Sie unentgeltlich auf unserer Internetseite www.dbresearch.de Dort können Sie sich auch als regelmäßiger Empfänger unserer Publikationen per E-Mail ein tragen. Für die Print-Version wenden Sie sich bitte an: Deutsche Bank Research Marketing 60262 Frankfurt am Main Fax: +49 69 910-31877 E-Mail: marketing.dbr@db.com Schneller via E-Mail: marketing.dbr@db.com Verteilungsfragen rücken in den Vordergrund: Mehr Anreize und Chancen statt mehr Umverteilung 30. August 2021 Vorfahrt der E-Mobilität vom Staat teuer erkauft .......... 5. August 2021 Die Rückkehr massiver Staatsausgaben: Wird dieses Mal wirklich alles anders? ........................ 4. August 2021 Nehmen die Inflationsrisiken in Deutschland tatsächlich zu? Oder machen wir uns wieder einmal umsonst verrückt? . 29. Juli 2021 Die deutsche EU-Politik post-Merkel: Grüner, aber finanzpolitisch weiterhin eher konservativ .. 27. Juli 2021 Zuwanderungsdelle durch Corona in den Jahren 2020/ 2021: Lohndruck könnte in der Dekade ansteigen .......... 22. Juli 2021 Neupositionierung der Berliner Wohnungspolitik ............ 21. Juni 2021 Stimmungsbild deutscher Unternehmen zu zentralen Wahlkampfthemen ...................................... 16. Juni 2021 Klimapolitische Ansprüche treffen auf energiewirtschaftliche Hürden .......................... 7. Juni 2021 Deutscher Büromarkt: Traditionelles Büro bleibt Dreh- und Angelpunkt der Wirtschaft ...................... 2. Juni 2021 Was bewegt die Wähler im September: Post-Corona-Aufschwung oder Dürresommer? ................. 7. Mai 2021