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Stablecoins und DeFi: Härtetest bestanden?

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Analyst
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Deutsche Bank Research Management
Stefan Schneider

Stablecoins und das DeFi-Ökosystem haben derzeit einen schweren Stand. Aktuell setzt die restriktivere Geldpolitik die Krypto-Bewertungen unter Druck. Dadurch dürfte sich jedoch zeigen, welche Dienste einen echten Mehrwert für die Kunden bieten. In der Tat haben die führenden besicherten Stablecoins den Sturm recht gut überstanden. Es muss zwar mit weiteren Verlusten gerechnet werden, aber das Ökosystem wird vermutlich konsolidiert und gut positioniert für weiteres Wachstum aus der Krise hervorgehen.

Stablecoins und ihr dezentrales Finanz-Ökosystem (DeFi) haben nach dem enormen Wachstum im vergangenen Jahr derzeit einen schweren Stand. Der Terra USD-Coin war am Ende alles andere als stabil. Im Mai stürzte sein Wert auf 3 Cent ab und die Marktkapitalisierung brach von USD 18,6 Mrd. auf USD 300 Mio. ein – ein verheerender Verlust für viele Anleger. Seitdem eine straffere Geldpolitik die Krypto-Bewertungen abrutschen lässt, verbreiten sich die Probleme kaskadenartig im dezentralen Finanzwesen und es zeigt sich ein hohes Maß an Verschuldung und Verflechtung. Gleichzeitig wird die Vision eines dezentral organisierten Finanzwesens ohne Intermediäre immer mehr infrage gestellt. Anleger, die Kryptowerte in der Kredit-App Celsius hinterlegt hatten, kamen plötzlich nicht mehr an ihr Geld:
Marktkapitalisierung von Stablecoins
Quelle: CoinGecko, Deutsche Bank Research
Die Anwendung stoppte alle Abhebungen, um einen Zusammenbruch zu verhindern – genau wie Banken im 20. Jahrhundert ihre Türen für Einleger schlossen. Läutet die restriktive Geldpolitik also das Totenglöckchen für Stablecoins und DeFi? 
Die Verschärfung der Geldpolitik erschüttert die Branche und wird zeigen, welche Kryptowerte und Dienstleistungen den Kunden einen echten Mehrwert bieten, über reine Spekulation hinaus. In der Tat haben die meisten etablierten Stablecoins den Sturm soweit recht gut überstanden. Die führenden besicherten Stablecoins verzeichneten nur geringfügige und vorübergehende Abweichungen von ihrer Parität zum US-Dollar, als die algorithmische Preisstabilisierung von Terra zusammenbrach (wie zuvor schon bei anderen algorithmischen Coins, z.B. BasisCash). Obwohl das Handelsvolumen im Mai hoch war und viele Stablecoins zurückgetauscht wurden, schrumpfte der Gesamtmarkt (ohne Terra) nur um etwa 6% oder USD 9,7 Mrd., und seither um weitere USD 5,4 Mrd. Die Anleger sind allerdings risikobewusster geworden. Sie achten bei Stablecoins stärker auf die Verlässlichkeit des Deckungsstocks. Seit Mai gewinnt der als relativ transparent wahrgenommene USD Coin stetig Marktanteile auf Kosten von Tether, dessen Emittent 2021 wegen falscher Angaben zum Deckungsstock zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.
Künftig könnten Stablecoins auch jenseits von DeFi genutzt werden. In Ländern mit hoher Inflation suchen die Menschen oft Zuflucht in stabilen Fremdwährungen. Mit Stablecoins wird die Dollarisierung digital. An den US-Dollar gekoppelte Stablecoins werden beispielsweise in Venezuela und Argentinien verwendet, um Ersparnisse vor der Inflation zu schützen und um tägliche Einkäufe mit Apps oder Karten zu bezahlen. Außerdem sind sie eine Alternative für Migranten, um Geld in ihre Heimatländer zu senden. Doch Stablecoins bieten mehr als Stabilität und Übertragbarkeit. Die Distributed-Ledger-Technologie, auf der sie basieren, ermöglicht neue technische Lösungen. Programmierbare Zahlungen oder die nahtlose Integration in DLT-basierte Unternehmensnetzwerke sind zukünftige Anwendungsmöglichkeiten, auch in entwickelten Märkten. Innovationen aus dem DeFi können die Effizienz im Finanzwesen verbessern, z.B. durch die Abwicklung von Handelsgeschäften in einer einzigen Transaktion oder den Devisenhandel ohne Orderbücher (Automated Market Makers).
Die derzeitigen wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Hindernisse, die einer breiten Nutzung von Stablecoins entgegenstehen, könnten mittelfristig überwunden werden. Aus europäischer Sicht sind die meisten Stablecoins mit einem Wechselkursrisiko verbunden, da sie an den US-Dollar gekoppelt sind. Bei einer Bindung an den Euro wäre das kein Thema mehr. Solche Stablecoins werden wahrscheinlich auf den Markt kommen, sobald die Emittenten mit EUR-denominierten Sicherheiten eine positive Rendite erzielen können. Die fehlende Aufsicht und Rechtssicherheit sind für die meisten institutionellen Anleger und Kleinanleger ein Problem. Die Aufsichtsbehörden in vielen Ländern arbeiten jedoch daran, Stablecoins und DeFi in ihre Rechtsrahmen zu integrieren, um die Integrität des Zahlungsverkehrs, die Finanzstabilität und die Verbraucher zu schützen. Dies wird dazu beitragen, das Vertrauen zu stärken und die Akzeptanz bei größeren Kundengruppen zu fördern. Rechtssicherheit wird es auch etablierten Finanzunternehmen erleichtern, DLT-basierte Dienstleistungen für ihre eigene Produktpalette zu entwickeln oder einzukaufen. Entsprechende Angebote von Finanzanbietern, denen sie vertrauen, könnten gerade Verbraucher überzeugen, Stablecoins zu nutzen. 
Dezentrale Technik und Organisation (Governance) sowie die Nutzung ohne Zugangsbeschränkungen sind, so heißt es, die DNA von DeFi. Sichere, genehmigungsfreie Blockchains haben jedoch den Nachteil, dass sie weniger effizient sind. Oft sind die Entscheidungsprozesse nicht wirklich dezentral, sondern liegen in den Händen von Personengruppen, die für Außenstehende schwer zu erkennen sind. Viele DeFi-Anwendungen und die erfolgreichsten Stablecoins werden ohnehin von klassisch im Handelsregister eingetragenen Unternehmen betrieben. Es ist gut möglich, dass sich das Ökosystem hin zu eher „zentralisierten“, traditionellen Eigentumsstrukturen mit genehmigungspflichtigem Zugang entwickeln wird, um einem breiteren Kundenstamm effiziente und sichere Dienste in hohen Stückzahlen anzubieten. Ein großes Netzwerk mit vielen Nutzern und hoher Verarbeitungskapazität ist eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg. Die Effizienz einer genehmigungsfreien Blockchain könnte jedoch durch Proof-of-Stake gesteigert werden. Ethereum wird bis Ende dieses Jahres die erste große Blockchain sein, die diesen Konsensmechanismus einsetzen wird.
Falls Stablecoins zu einem wichtigen Zahlungsmittel werden, könnte dies eine strengere Kontrolle durch Regulierer zur Folge haben. Die Zentralbanken werden die geldpolitischen Auswirkungen genau beobachten. Wenn Stablecoins durch Bankeinlagen besichert sind, hat dies kaum Auswirkungen auf die Geldmenge in der Wirtschaft. Privatkunden würden einfach Einlagen in Stablecoins umtauschen, und die Einlagen würden als Deckungsstock auf den Bankkonten der Stablecoin-Emittenten landen. Für die Banken würde dies allerdings weniger Privatkundeneinlagen, eine schwächere Strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio) und damit eine geringere Kreditvergabekapazität bedeuten. Wenn Stablecoins jedoch durch Schuldtitel wie Commercial Paper besichert sind, kann „Geld“ außerhalb des Bankensektors geschöpft werden. Stablecoins zählen (noch) nicht zur offiziellen Geldmenge, weisen aber viele Merkmale von Geld auf. Sie sind sogar Geld ähnlicher als Geldmarktfondsanteile, die Teil von M3 und ähnlich strukturiert, aber nicht übertragbar sind. Zwar findet sowohl bei Geldmarktfonds als auch bei Stablecoins, die mit Vermögenswerten besichert sind, eine Fristen- und Liquiditätstransformation statt, wenn sie aus Schulden „Geld“ schaffen. Aber nur Erstere unterliegen einer Aufsicht durch Regulierungsbehörden und haben in Krisenzeiten Liquiditätshilfen der Zentralbanken erhalten. Die Emission von Stablecoins könnte die effektive Geldmenge erhöhen oder die Geldschöpfung einfach von Banken auf die Kapitalmärkte und Nicht-Banken verlagern. Auch Wettbewerbsprobleme könnten zu verstärkten Kontrollen durch die Regulierer führen. Diese könnten auftreten, wenn es nur einen dominierenden Stablecoin gäbe und die Interoperabilität zwischen den Netzwerken eingeschränkt wäre. 
Ob Stablecoins als Mittel zur Wertaufbewahrung wettbewerbsfähig sind, werden künftige Innovationen zeigen. Die Verzinsung (neben der Stabilität) wird entscheidend sein. Bislang behalten die Stablecoin-Emittenten die Zinserträge aus dem Deckungsstock. In der EU wird es verboten sein, verzinsliche Stablecoins auszugeben. Bankeinlagen hingegen bieten Zinserträge und sind durch die Einlagensicherung geschützt. Derzeit bringen Stablecoins nur dann eine Rendite, wenn sie in DeFi investiert werden, allerdings trägt der Coin-Inhaber das Risiko. Geldmarktfondsanteile könnten sich zu verzinsten Stablecoins entwickeln, wenn die Fonds ihre technische Infrastruktur auf DLT umstellen, um einen einfachen Peer-to-Peer-Austausch von Anteilen zu ermöglichen. 
Insgesamt werden Stablecoins und das DeFi-Ökosystem ihren ersten Härtetest in Form einer restriktiven Geldpolitik und stagnierender Krypto-Bewertungen wahrscheinlich bestehen. Es muss zwar mit weiteren Verlusten gerechnet werden, aber Stablecoins werden vermutlich konsolidiert, reifer und gut positioniert für weiteres Wachstum aus der Krise hervorgehen. Die bevorstehende Regulierung wird sie für einen großen potenziellen Kundenstamm attraktiver machen. Und Innovation ist ein fortlaufender Prozess. Ein integrierter digitaler Zugang zu Krediten und anderen Finanzprodukten (DeFi?) könnte ein Verkaufsargument werden. Aber der Erfolg ist nicht garantiert. Stablecoins werden mit Bankeinlagen, E-Geld, (wahrscheinlich) digitalem Bargeld und tokenisierten Einlagen konkurrieren. Potenzielle Nutzer werden eine große Auswahl haben. Während für Firmenkunden Emittenten- und operationelle Risiken im Vordergrund stehen, sind Privatkunden vor allem an Nutzerfreundlichkeit und Gebührenfreiheit interessiert, ohne auf die zugrunde liegenden Abläufe zu schauen. Die Innovationen im Zahlungsverkehr und im Geldsystem sind bei Weitem nicht auf Stablecoins beschränkt: Das Rennen ist eröffnet. 
Originalfassung in Englisch vom 19. Juli 2022: ˮStablecoins and DeFi: Passing the testˮ

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