Wie kam es zu dieser Entwicklung? Ein Grund für den rasanten Preisauftrieb ist aus unserer Sicht das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, das im Zuge des explosionsartigen Wachstums der Weltbevölkerung seine Wirkung entfaltete. In den Jahrhunderten zuvor waren Währungssysteme – von kurzen Unterbrechungen abgesehen – stets an Edelmetalle gebunden. Freilich käme es in einer Welt, in der MV=PQ ist, bei steigenden Bevölkerungszahlen (und in der Folge höherer Wirtschaftsleistung (Q)) zu einem Rückgang der Preisniveaus, wenn MV fest ist. Ein rapider Verfall der Preise wie unter dem Edelmetallstandard, bei dem (die Geldmenge) M im Grunde festgelegt und (die Umlaufgeschwindigkeit) V – wie von uns angenommen – mittelfristig unverändert ist, würde in einer Demokratie aber kaum funktionieren, da im Gegenzug die Nominallöhne und Gewinne zwangsläufig sinken würden. Aus politischer Sicht wäre dies nicht tragbar.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts gerieten Edelmetallstandards zunehmend unter Druck. Viele Mitglieder traten vorübergehend aus den Währungsverbünden aus und lockerten ihre Geldpolitik. In der Folge stiegen die Preise. Zusätzlich verschärft wurde dieser Trend durch zwei Weltkriege und die Maßnahmen zur Bekämpfung der Großen Depression. Als 1968 das Wachstum der Weltbevölkerung schließlich seinen Höhepunkt erreichte, war angesichts des damit verbundenen (und infolge rasanter Produktivitätssteigerungen beispiellosen) Anstiegs der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage der Zusammenbruch des Bretton-Woods-System der Nachkriegszeit nach unserem Dafürhalten bereits vorprogrammiert. Für eine Währungsordnung, die darauf basiert, dass Geld durch einen im begrenzten Umfang zur Verfügung stehenden Rohstoff gedeckt ist, wurde der Druck einfach zu hoch.
Mit dem Scheitern des Bretton-Woods-Systems im Jahr 1971 brach die Ära des Fiatgeldes und der Kreditschöpfung an. In den folgenden Jahrzehnten stieg in der Folge fast überall die Kreditvergabe. Es kam zur Finanzialisierung der Weltwirtschaft. Wie zu erwarten war, tendierten auch die Preise nach oben. Zumindest am Anfang. Ab den 1980er Jahren war die Teuerung aber wieder rückläufig. Grund hierfür ist wohl, dass sich das Wachstum der Weltbevölkerung, nachdem es 1968 seinen Hochpunkt erreicht hatte, allmählich wieder abschwächte. Gleichzeitig nahm die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter massiv zu, da nun die Babyboomer der 1960er Jahre auf den Arbeitsmarkt drängten. Hinzu kam die Öffnung Chinas, wodurch sich das Arbeitskräfteangebot weltweit weiter kräftig erhöhte.
Auch der Anstieg der Vermögenspreise war beispiellos, insbesondere im Zeitraum von 1950 bis 2000. Unserer Datenbank für traditionelle Vermögenswerte zufolge verzeichneten Immobilien in Großbritannien bis 1939 und damit über einen Zeitraum von 649 Jahren – die längste verfügbare Zeitreihe – ein nominales Plus von 887% (Jahresrate von 0,4%). In den folgenden 79 Jahren waren es 41.363% (Jahresrate von 8%). Inflation geht anders. So waren die realen Hauspreise in Großbritannien zwischen 1290 und 1939 sogar um 49% rückläufig, während sie in den vergangenen 79 Jahren um 834% zulegten (Jahresrate von 3%). Ähnliches gilt für viele andere risikoreiche Vermögenswerte. Auch hier standen im Zeitraum zwischen 1950 und 2000 weltweit massive Zuwächse zu Buche – nominal und real.
Wie ist der kurz- bis mittelfristige Ausblick? Denkbar ist, dass es zum Konflikt zwischen sich weiter abschwächendem Bevölkerungswachstum (disinflationär) und rückläufiger Erwerbsbevölkerung (inflationär) kommt. Wissenschaftlichen Studien zufolge drohen bei einer alternden Bevölkerung inflationäre Effekte, während Gesellschaften mit einem hohen Anteil an Personen, die dem Arbeitsmarkt noch lange zur Verfügung stehen (z.B. 1980-2015), disinflationär wirken.
Ebenso vorstellbar ist ein Tauziehen zwischen Regierungen, die sich durch höhere Inflation aus der in den vergangenen 40-50 Jahren aufgebauten Schuldenfalle befreien wollen, und unseren derzeit unabhängigen Notenbanken mit ihrem auf Preisstabilität ausgerichteten Mandat. Sollte sich unsere Annahme bestätigen, dass die inflationären Kräfte stärker sind, könnte ein Test für die Unabhängigkeit der Notenbanken resp. deren aktuelle Mandate bevorstehen. Zwar leben wir auch weiterhin in der Ära des Fiatgeldes. Gleichwohl ist die Entschuldung durch Inflation eine allgegenwärtige Versuchung. Tatsächlich dürften – wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen – viele Länder zu diesem Mittel greifen, um ihre Schulden abzubauen, was für langfristig hohe Staatsschulden und deren Monetisierung durch die Notenbanken spräche. In diesem Fall würden höhere Inflationsraten begleitet von zunehmenden Lohndruck infolge des schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzials.
Kurz- bis mittelfristig rechnen wir mit einem Anstieg der Inflation. Auf längere Sicht hingegen dürfte als Gegenreaktion auf eine Entschuldung durch Inflation die Rückkehr zu einer globalen Währungsordnung anstehen, die wieder an einen Sachwert gebunden ist. Für die nötige Architektur werden dabei wohl die Kryptowährungen der Zukunft sorgen. Bis dahin ist das Bevölkerungswachstum wieder auf den stabilen Niveaus wie zu den Zeiten, als Währungsordnungen auf Basis von Edelmetallen als tragfähiger und relativ erfolgreicher Standard dienten.
Auch wenn auf sehr lange Sicht (30-100 Jahre) die Niedrig- oder Nullinflation, wie sie vor Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte, wieder die Regel werden dürfte – für die vorhersehbare Zukunft gilt dies nicht. Womöglich werden Historiker den Zeitraum zwischen 1950 und 2000 aber als den großen Ausreißer in der Geschichte der Menschheit und der Finanzmärkte begreifen.
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