5. März 2018
Von Anfang an standen die Verhandlungen unter einem ungünstigen Stern. Dazu hat zunächst die Verweigerung einer Neuauflage der Groko seitens der SPD-Führung beigetragen. Dann führten die teilweise diametral entgegengesetzten Interessenlagen der Beteiligten, vermeintlich üppige finanzielle Spielräume und das Desinteresse der Bevölkerung an grundlegenden Reformen zu einem in vielen Teilen widersprüchlichen Maßnahmenkatalog, der insgesamt den Einfluss des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft zu Lasten individueller Freiräume weiter erhöht. Doch derzeit überwiegt die Erleichterung darüber, dass Deutschland wieder eine „ordentliche“ Regierung hat. Allerdings könnten sich wohl nicht nur die Koalitionäre bald fragen, ob der Preis nicht doch zu hoch war.
[mehr]Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders
Barbara BöttcherDieter BräuningerEric HeymannJochen MöbertJosef AuerKevin KörnerMarc SchattenbergSebastian BeckerStefan Schneider
Von Anfang an standen die Verhandlungen unter einem ungünstigen Stern. Standpunkt Deutschland Von Anfang an standen die Verhandlungen unter einem ungünstigen Stern. Dazu hat zunächst die Verweigerung einer Neuauflage der Groko seitens der SPD-Führung beigetragen. Dann führten die teilweise diametral entgegenge- setzten Interessenlagen der Beteiligten, vermeintlich üppige finanzielle Spiel- räume und das Desinteresse der Bevölkerung an grundlegenden Reformen zu einem in vielen Teilen widersprüchlichen Maßnahmenkatalog, der insgesamt den Einfluss des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft zu Lasten individueller Freiräume weiter erhöht. In dieser Hinsicht ist auch der europapolitische Kurs der Regierung inkonsistent. Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumskräfte sollen gestärkt werden, während gleichzeitig ein Rahmen für Mindestlohnregelungen und nationale Grundsiche- rung entwickelt und Mindestsätze für Unternehmenssteuern angestrebt werden. Zudem bleiben gerade bei wichtigen Vorschlägen wie dem Umbau des ESM in einen EWF und dem Vorantreiben der „fiskalischen Kontrolle und der wirt- schaftspolitischen Koordinierung“ die entscheidenden Details offen. In der Sozialpolitik wird erneut die „Vollkaskomentalität“ der Bürger bedient . Da- bei wird der von der bisherigen Groko eingeleitete Trend vermehrter Regulie- rung am Arbeitsmarkt fortgesetzt, obgleich der demografische Wandel und die Digitalisierung mehr Flexibilität erfordern. Wesentliche sozialpolitische Vorhaben laufen darauf hinaus, auf mehr Nachhaltigkeit ausgerichtete Reformen des ver- gangenen Jahrzehnts – zumindest ein Stück weit – zurückzudrehen. Dement- sprechend zählt die junge Generation in diesem Bereich einmal mehr zu den Verlierern einer Groko. Mit der zweifellos notwendigen Investitionsoffensive in den Bereichen Bildung, Forschung & Entwicklung sowie Digitalisierung plant die neue Regierung, Deutschland zukunftsfest zu machen. Dazu bedürfte es aber mehr als staatli- cher Gelder, nämlich hinreichenden Vertrauens in private Initiative sowie unter- nehmerischer Freiräume. Fiskalische Spielräume sind derzeit vorhanden. Anstatt für konsequente steuer- liche Entlastungen werden diese überwiegend für Ausgabenprogramme ver- wandt – was dem paternalistischen Staatsverständnis der Großkoalitionäre ent- spricht. Zudem dürften bei einer Normalisierung von Zinsniveau und Konjunktur bald wieder staatliche Finanzierungsdefizite entstehen. Derzeit überwiegt die Erleichterung darüber, dass Deutschland wieder eine „or- dentliche“ Regierung hat. Allerdings könnten sich wohl nicht nur die Koalitionäre bald fragen, ob der Preis nicht doch zu hoch war. Spekulationen über ein vorzei- tiges Ende der Groko haben ja bereits begonnen, insbesondere da die Partner frühzeitig ihre Positionierung für die post-Merkel Zeit vorantreiben dürften. Soll- bruchstellen gibt es jedenfalls genug. David Folkerts-Landau Group Chief Economist Editoren Barbara Böttcher Head of European Policy Research Stefan Schneider Chief German Economist Deutsche Bank AG Deutsche Bank Research Frankfurt am Main Deutschland E-Mail: marketing.dbr@db.com Fax: +49 69 910-31877 www.dbresearch.de 5. März 2018 Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 2 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Warten auf die marktwirtschaftliche Erneuerung Mit dem positiven SPD-Mitgliedervotum ist der Weg frei für die dritte Auflage ei- ner großen Koalition unter Kanzlerin Merkel. Manches spricht dafür, dass es bis auf Weiteres die letzte ihrer Art sein wird – nicht nur, weil in der CDU die Dis- kussion um die post-Merkel Zeit begonnen hat und die SPD ihr Überleben in dieser Konstellation als gefährdet sieht, sondern auch weil CDU/CSU und SPD im neuen deutschen Parteiengefüge bald nicht mehr über eine strukturelle Mehrheit verfügen könnten. Die Koalitionspartner gehen damit in ihre politisch und wirtschaftlich entscheidende Legislaturperiode, um Deutschland, seine Wirt- schaft und Gesellschaft, mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit zukunfts- gerecht aufzustellen. Der ausgehandelte Koalitionsvertrag benennt – freilich in unterschiedlichen Kontexten – Aktionsfelder, die zukunftsorientierte Politik ad- ressieren sollte: den digitalen Wandel, die „politisch, wirtschaftlich und militä- risch“ grundlegend veränderten globalen Kräfteverhältnisse, die notwendige Er- neuerung der EU, den Fachkräftebedarf, Migration und Integration sowie Klima und Umwelt. Wird der ausgehandelte Koalitionsvertrag dem eigenen Anspruch gerecht? Nicht wirklich, lautet unsere Antwort, auch weil inhaltliche Konflikte zwischen den Koalitionspartnern über die richtigen Politikwege nicht selten mit Prüfaufträgen in Kommissionen verschoben werden. Freilich, die grundsätzlich eher skeptische Einschätzung des Koalitionsvertrags muss je nach Politikfeld (siehe Kapitel weiter unten) nuancierter ausfallen. Begünstigt durch gute Konjunktur und sprudelnde Steuereinnahmen kon- zentriert sich das neue Regierungsprogramm auf die Verteilung von Finanzmit- teln, ohne die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu beachten. Es fehlen ökonomische Prioritätensetzungen in den öffentlichen Haushalten, mit denen weniger wichtige Projekte beschnitten oder verfehlte Politikmaßnahmen korri- giert werden könnten. Erneute Wohltaten für die derzeitige Rentnergeneration bei weiterhin übermäßigem Zugriff des Steuerstaates zu Lasten von Leistungs- trägern und Unternehmen sind dafür nur ein Beispiel. Die dringend erforderli- chen öffentlichen Investitionen in Bildung und Infrastruktur sollen auf den Weg gebracht werden, aber Strukturreformen in den verkrusteten Güter- und Dienst- leistungsmärkten fehlen. Deutschland soll „Weltspitze bei der digitalen Infra- struktur“ werden, aber auf dem Arbeitsmarkt wird die durch die Agenda 2010 verbesserte Flexibilität – ein wichtiger Grund für Deutschlands derzeitige kon- junkturelle Sonderstellung und conditio sine qua non für die Entdeckung der neuen digitalen Jobs – zurückgedreht. Starrere Regeln und höhere Kosten für die Unternehmen konterkarieren die bessere Innovations- und Forschungsför- derung. Die Klima- und Energiepolitik zeigt, wohin planwirtschaftliche Steue- rungspolitik führt. Statt aber stärker auf effiziente, marktwirtschaftliche Elemente zu setzen, verständigt man sich auf noch ambitioniertere Ziele. Wie überhaupt der Koalitionsvertrag eher dem Geist eines paternalistischen Umverteilungsstaates verhaftet ist, der seinen Bürgern die Illusion vermittelt, der Staat wisse um alle zukünftigen Herausforderungen und könne entsprechende Anpassungen organisieren, am besten noch, ohne den Status-quo infrage zu stellen. Die praktizierte Rollenverteilung zwischen Staat und Markt entfernt sich damit immer mehr von den Ideen der Sozialen Marktwirtschaft, die die Grundla- gen für den Wohlstand in Deutschland gelegt hat, und auf freiheitliche Ordnung, Wettbewerb, Eigenverantwortung, einen hohen Beschäftigungsgrad und sub- sidiäre, sozialpolitische Maßnahmen abstellt. Die neue Regierung hat dagegen eine ganz eigene Definition von Sozialer Marktwirtschaft, wie ein Passus im Ko- alitionsvertrag zeigt: „Die Soziale Marktwirtschaft, die auf Unternehmensverant- wortung, Sozialpartnerschaft, Mitbestimmung und einer fairen Verteilung des er- wirtschafteten Wohlstands beruht, braucht eine Renaissance, gerade in Zeiten der Digitalisierung.“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Februar 2018, S.7). 0 10 20 30 40 50 60 70 80 sehr gut/gut weniger gut/schlecht Bewertung der großen Koalition 1 Frage: " Fänden Sie eine Koalition aus CDU/CSU und SPD ...", in % der Befragten Quelle: Infratest dimap ARD-DeutschlandTrend 0 10 20 30 CDU/CSU SPD Greens FDP Linke AfD Others Aktuelle Umfragen* Bundestagswahl Quelle: Wahlrecht.de % Aktuelle Stärke der Parteien & Ergebnis der Bundestagswahl 2017 2 * Durchschnitt der Ergebnisse jüngster Umfragen führender Meinungsforschungsinstitute (Allensbach, Emnid, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap, INSA) Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 3 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Das Unbehagen über den weitgehenden Verlust eines ordnungspolitischen Kompass scheint zumindest in der CDU zugenommen zu haben. Die CDU hat auf ihrem Parteitag Ende Februar beschlossen, in einem umfassenden Diskus- sionsprozess, moderiert von der gerade gewählten Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, rechtzeitig für die nächste Bundestagswahl ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten. In dessen Mittelpunkt soll die Erneuerung und Zukunftssicherung der Sozialen Marktwirtschaft stehen. Für die Sicherung eines wettbewerbsfähigen Standorts Deutschland und die Stärkung der Wachs- tumskräfte über die zyklische Komponente hinaus könnte es dann freilich schon zu spät sein. Welches Europa soll es denn bitte sein? Die Rollenverteilung zwischen Staat und Markt sollte auch bedacht werden, wenn in der EU über notwendige Anpassungen an Brexit und die Weiterentwick- lung der EU27 diskutiert wird. Zentralisierung und verstärkte bürokratische Len- kung versus Subsidiarität und Wettbewerb wären hier die relevanten Stichworte. Eine grundsätzliche Debatte erschiene schon angesichts der wachsenden Kritik über Bürgerferne und Demokratiedefizit der EU sinnvoll, obwohl die EU und der Euro für die Wohlstandsentwicklung Deutschlands eine ganz wesentliche Rolle spielen. Allerdings hat Europapolitik im Wahlkampf und bei der Positionierung der drei Parteien keinen größeren Raum eingenommen. Erst im Sondierungspa- pier und dann im Koalitionsvertrag wurde ihr das prominente erste Kapitel zuge- dacht (5 von knapp 180 Seiten), was v.a. die Prioritätensetzung des damaligen SPD-Vorsitzenden und ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlamentes Martin Schulz widerspiegelt. Die Dringlichkeit, die Deutschlands europäische Partner, allen voran Frankreich und Italien, einer weiteren Integration der Euro- zone zumessen, sowie die dazu vorgeschlagenen Instrumente finden in der breiten deutschen Wählerschaft (und der Ökonomenszene) nur geteilte Unter- stützung. Stattdessen herrschen die Bedenken vor, dass der weitere Ausbau der Eurozone mit steigenden finanziellen Risiken und Souveränitätsverlusten für Deutschland einhergeht und dass größere Risikoteilung eher zu Moral Hazard und Reformverschleppung als zu Stabilisierung und Fiskaldisziplin in der Euro- zone führen. Diese Sorgen kann der Koalitionsvertrag nicht ausräumen, nicht zuletzt weil bei wichtigen Vorschlägen wie dem Umbau des ESM 1 in einen EWF und dem Vorantreiben der „fiskalischen Kontrolle und der wirtschaftspolitischen Koordinierung“ die entscheidenden Details offen bleiben. Bei einem Dossier fehlt die Position der neuen Regierung im Koalitionsvertrag völlig: der Banken- und Kapitalmarktunion. Hier tut man sich mit notwendigen Entscheidungen eher schwer, obwohl deren Umsetzung ein wichtiger Pfeiler für eine bessere Stabilität der Eurozone darstellt – bei der Kapitalmarktunion gilt dies umso mehr mit Blick auf den Brexit und seine Konsequenzen für die EU-Finanzmärkte. Eine große Koalition mit breiter parlamentarischer Mehrheit sollte sich dieses schwierige Thema zur gemeinsamen Aufgabe machen. Ganz generell gilt natürlich, dass Festlegungen im Koalitionsvertrag den Ver- handlungsspielraum Deutschlands auf EU-Ebene unzweckmäßig eingeschränkt hätten. Bei manchen Punkten legt sich die Regierung allerdings fest: So hat sie im Koalitionsvertrag höhere deutsche Beiträge zum EU-Haushalt zugesagt und damit von vornherein den Druck reduziert, Volumen und Mittelzuweisung des EU-Budgets 2021-2027 an neue Rahmenbedingungen (Wegfall des zweitgröß- ten Nettozahlers UK) und geänderte Prioritäten (u.a. Ausbau des Grenzregimes, mehr Geld für Migration, Verteidigung, Innovation und Forschung) anzupassen. 1 Focus Europe Special (November 2017): European integration and the role of the ESM. 0 10 20 30 40 50 60 70 1. 2. 3. 4. gut schlecht 1. ganz allgemein 2. Martin Schulz 3. Präsident Macron 4. Sondierung Union/SPD % * Befragung von 4 Teilgruppen Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) Wie wirkt der Vorschlag, die EU zu vertiefen, wenn er von der folgenden Seite kommt* 3 0 10 20 30 40 50 60 70 Agrarpolitik Regionalpolitik Interne Politikbereiche Auswärtige Angelegenheiten Verwaltung EU-Haushaltsmittel, % der Gesamtausgaben Quellen: Deutsche Bank, Europäisches Parlament ( 2017): "The next Multiannual Financial Framework (MFF) and its Duration" Die Entwicklung der Ausgaben im EU-Haushalt 4 Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 4 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Dass die EU für die Übernahme weiterer Aufgaben mit den entsprechenden Mit- teln, auch deutschen, ausgestattet werden sollte, ist unbenommen, wird aber schwierig, wenn selbst (wohlhabende) Mitgliedsländer wie Deutschland prak- tisch Bestandsschutz für die bisherige Struktur- und Regionalpolitik anmahnen. Die Debatte um die Verteilung (zusätzlicher) Mittel erfolgt zudem – ähnlich wie auf nationaler Ebene – weitgehend ohne Evaluierung bestehender Maßnahmen, ökonomischer Prioritätensetzung und der Klärung des europäischen Mehr- werts. 2 So soll es neben dem Budget auch eine weitere Aufstockung der Mittel gegen Jugendarbeitslosigkeit und des Europäischen Investitionsprogramm EFSI geben. Wirtschaftspolitisch bleibt ein widersprüchliches Bild vom europapolitischen Kurs der Regierung. Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumskräfte sollen gestärkt werden, während gleichzeitig ein Rahmen für Mindestlohnregelungen und natio- nale Grundsicherung entwickelt und Mindestsätze für Unternehmenssteuern (auf Basis einer gemeinsamen, konsolidierten Bemessungsgrundlage) ange- strebt werden. Mit Blick auf Unternehmenssteuerreformen und Senkung von Steuersätzen bei wichtigen Partnern wie den USA scheint die Diskussion um Mindestsätze in der EU in die falsche Richtung zu deuten. Keiner der genannten Punkte dürfte zudem unter die Rubrik von öffentlichen europäischen Gütern fal- len, für die sich die EU zuständig fühlen sollte. Letztlich will auch die neue, alte Regierungskoalition einen umfassenden politischen Ansatz verfolgen, der Struk- turreformen mit Haushaltskonsolidierung, Zukunftsinvestitionen und institutionel- len Veränderungen verbindet. Die Erfahrungen der letzten Jahre mit der Einhal- tung des entsprechenden Regelwerks und den wirtschaftspolitischen Empfeh- lungen lassen allerdings Zweifel aufkommen, ob dies ausreicht, um die Euro- zone wieder auf ein stabiles Fundament zu setzen und die politische Akzeptanz der EU zu erhöhen. Man darf gespannt sein, wie die angekündigten gemeinsa- men deutsch-französischen Initiativen in den einzelnen Bereichen konkret aus- sehen werden. Verteidigungs- und Sicherheitspolitik: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit Auch bei der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik setzen die Koalitionspartner auf enge europäische und v.a. deutsch-französische Zusammenarbeit, wie sie mit der 2017 beschlossenen Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) und dem Europäischen Verteidigungsfonds angelegt wurde. 3 Zwar be- kennt sich der Koalitionsvertrag zu Deutschlands NATO-Verpflichtungen und dazu, zusätzliche Haushaltsspielräume „prioritär“ für eine Erhöhung der Verteidi- gungsausgaben und Entwicklungszusammenarbeit im Verhältnis 1:1 zu nutzen. Ob dies allerdings genügen wird, die „Fähigkeitslücken“ der Bundeswehr – durch den jüngsten Bericht des Verteidigungsministeriums schmerzhaft verdeut- licht – zu schließen, bleibt offen. Die Vereinbarung der NATO-Partner, bis 2024 einen Verteidigungshaushalt von 2% des BIP anzustreben (für Deutschland etwa eine Verdopplung der aktuellen Ausgaben) wird nicht explizit bestätigt. Das NATO-Ziel findet lediglich als nicht näher bestimmter „Zielkorridor“ Eingang in die Haushaltsplanung der nächsten Regierung. 2 EU-Monitor (Mär 2018): EU-Haushalt nach dem Brexit: Streit ist vorprogrammiert. 3 Germany Monitor (August 2017): German defence policy - Towards a more integrated security framework. 0 20 40 60 80 Außen-/Sicherheitspol. Flüchtlingspolitik Schuldenhöhe Zuwanderung Schul-/Uniabschlüsse Steuer-/Abgabenhöhe Sozialleistungen europäisch nationalstaatlich Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) W as sollte europäisch, was durch die Nationalstaaten geregelt werden? 5 % Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 5 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Fehlanzeige bei Arbeitsmarktreformen In der Arbeitsmarktpolitik wird der von der bisherigen Groko eingeleitete Trend vermehrter Regulierung fortgesetzt, obgleich der demografische Wandel und die Digitalisierung mehr Flexibilität erfordern. Am deutlichsten zeigt sich diese Ten- denz bei den Einschränkungen für befristete Arbeitsverträge. So ist die geplante engere zeitliche Obergrenze bei der sachgrundlosen Befristung, die künftig nur noch für maximal 18 Monate (statt bislang 2 Jahre) möglich sein soll, durchaus substanziell. Auch die zweite, quasi mengenmäßige Begrenzung, der zufolge Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5% ihrer Be- legschaften sachgrundlos befristet beschäftigen dürfen, ist willkürlich und engt unternehmerische Spielräume ein. Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge könnte dies zu einer Reduzierung der sachgrund- losen Befristungen um mindestens 400.000 Fälle führen. Das entspräche einem Minus von rd. 30% (letztverfügbare Daten für 2013). Dabei ist mehr als zweifel- haft, dass alle diese Stellen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse umge- wandelt würden. Zudem dürften aus den willkürlichen Schwellenwerten Abgren- zungsprobleme sowie bürokratischer Aufwand bei den Unternehmen und Kon- trollnotwendigkeiten beim Staat resultieren. Ohnehin erstaunt die v.a. seitens der SPD forcierte Re-Regulierung in diesem Bereich angesichts der Tatsache, dass der Anteil der befristet Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit 7,4% deut- lich über dem in der Privatwirtschaft (6,7%) liegt (Stand 2014). Ebenfalls zu wenig Rücksicht auf die Belange der Wirtschaft nimmt das ge- plante Recht auf befristete Teilzeit. Zwar ist auch das Vorhaben, Arbeitnehmern, die von Vollzeit auf Teilzeit umgestiegen sind, ein Rückkehrrecht zur Vollzeit zu gewähren, mit verschiedenen Kautelen versehen, die zumindest kleinere Unter- nehmen schützen. So soll dieses Recht in Unternehmen mit weniger als 46 Mit- arbeitern nicht gelten und in Firmen mit 46 bis 200 Beschäftigen nur innerhalb von Zumutbarkeitsgrenzen. Aber schon diese Grenzziehungen dürften nicht sel- ten (Abgrenzungs-)Probleme hervorrufen. Und in den betroffenen Unternehmen führt die Neuregelung zu mehr Organisations- und Planungsaufwand v.a. im Personalwesen. Während einerseits neue Regulierungen relativ detailliert vorgegeben werden, scheut die Groko andererseits klare Regeln an einer der wenigen Stellen, wo sie mehr Flexibilität gewähren will. So sollen im Arbeitszeitgesetz „Experimen- tierräume für tarifgebundene Unternehmen“ geschaffen werden. Dabei ist aber vorrangig an die wöchentliche Höchstarbeitszeit gedacht. Die von der Wirtschaft erwünschten flexibleren Gestaltungsmöglichkeiten der täglichen Arbeitszeiten werden hingegen nicht erwähnt. EUR 4 Mrd. sieht die Koalition in dieser Legislaturperiode für ein neues Instru- ment der Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung vor. Freilich ist offen, wofür die Mittel konkret verwendet werden sollen. Fraglich bleibt damit auch, ob mit der neuen Maßnahme die bekannten Schwächen staatlicher Be- schäftigungsprogramme (Mitnahmeeffekte, Verdrängung nicht geförderter Be- schäftigung und Drehtüreffekte, d.h. keine nachhaltige Verbesserung der Be- schäftigungschancen bzw. -fähigkeit begünstigter Langzeitarbeitsloser) vermie- den werden können. So bleibt als einer der wenigen positiven Aspekte im Bereich der Arbeitsmarkt- politik die Verminderung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung. An- gesichts des seit Jahren anhaltenden Aufschwungs am Arbeitsmarkt fällt diese mit 0,3 pp freilich bescheiden aus. 4,0 4,5 5,0 5,5 6,0 6,5 7,0 7,5 8,0 8,5 9,0 Quelle: IAB % Entwicklung der Befristungsquote* im öffentl. Dienst u. der Privatwirtschaft 6 * Jeweils ohne Wissenschaft - 200 400 600 800 1.000 1.200 1.400 1.000 Quelle: BA Langzeitarbeitslose 7 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 2000 2003 2006 2009 2012 2015 2018 GRV GKV* SPV** BA Quellen: Bundesversicherungsamt, DRV % des jeweils beitragspflichtigen Einkommens Beitragssätze zu den Sozialversicherungen 8 * einschließl. (durchschnittl.) Zusatzbeitragssatz, ** ohne Zuschlag für Kinderlose Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 6 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Die jüngere Generation, Unternehmen und Wett- bewerb sind Verlierer der Groko-Sozialpolitik Wesentliche sozialpolitische Vorhaben laufen darauf hinaus, auf mehr Nachhal- tigkeit ausgerichtete Reformen des vergangenen Jahrzehnts – zumindest ein Stück weit – zurückzudrehen. Dementsprechend dürfte die junge Generation in diesem Bereich einmal mehr zu den Verlierern einer Groko gehören. So haben sich die drei Parteien insbesondere bei der gesetzlichen Rentenversicherung auf gewichtige neue Leistungen geeinigt, die allenfalls bei anhaltend dynami- schem Wachstum von Wirtschaft und Beschäftigung – und selbst dann auch nur befristet – halbwegs solide finanzierbar sind. In besonderem Maße gilt das für die Stabilisierung der Renten bis 2025 auf dem gegenwärtigen Niveau von 48%. Bei anhaltend gutem Lauf der Wirtschaft kann dieses Ziel auch ohne Eingriffe voraussichtlich bis 2024 gehalten werden. Nimmt die Zahl der Beitragszahler je- doch ab, ist mit erheblichen Kosten zu rechnen, zumal wenn die Zahl der Rent- ner steil nach oben geht. Da in der Demografie beides angelegt ist, dürfte es für die Rentenpolitik spätestens in der zweiten Hälfte der nächsten Dekade ein bö- ses Erwachen geben. Bereits absehbar sind die Kosten der erweiterten Rente für Mütter mit mindes- tens 3 vor 1992 geborenen Kindern. Diese könnten 2019 mit rd. EUR 3,4 Mrd zu Buche schlagen. Die geplante Grundrente für Geringverdiener mit mindes- tens 35jähriger Zugehörigkeit zur Rentenversicherung dürfte anfänglich nur rela- tiv geringe Kosten (EUR 0,1 Mio p.a.) verursachen. Die Ausgaben für die Grundrente werden jedoch – im Gegensatz zu jenen der zusätzlichen Mütter- rente – längerfristig kräftig steigen. Umso wichtiger ist, dass sich die Groko zu- mindest insoweit auf eine gewisse Kostenbremse geeinigt hat, als der Bezug der Grundrente eine Bedürftigkeitsprüfung voraussetzen soll. Im Gesundheitswesen scheint jener Teil der Nachhaltigkeit, der sich in den Rücklagen der privaten Krankenkassen manifestiert, (vorerst) gesichert. CDU und CSU konnten die Forderung nach einer Verschmelzung der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung abwehren. Aber auch die von der SPD durchgesetzte Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Kran- kenversicherung ist problematisch. Die Abschaffung des bislang allein von Ar- beitnehmern und Rentnern zu tragenden Zusatzbeitrages entlastet zwar beide Gruppen (anfänglich um insgesamt EUR 7 Mrd. p.a.). Aber die Arbeitgeber müs- sen rd. EUR 5,7 Mrd. zusätzlich schultern. Dementsprechend steigen die Ar- beitskosten mit tendenziell negativen Effekten für die Beschäftigung. Aber es geht nicht allein um streitige Umverteilung. Mit den Zusatzbeiträgen ginge auch ein Element marktwirtschaftlicher Steuerung verloren. Die einzelnen Kranken- kassen können die Höhe dieser Beiträge je nach eigenem Mittelbedarf individu- ell festlegen. Die Zusatzbeiträge sorgen damit für ein gewisses Maß an Wettbe- werb der Kassen um Kunden. Die daraus resultierenden Anreize der Kassen für effizienten Umgang mit ihrer Ressourcen bleiben bei der geplanten Umstellung aber weitgehend auf der Strecke. Aber auch das Gesundheitswesen braucht mehr statt weniger Wettbewerb. Bildung endlich wieder größer geschrieben Seit Jahren liegen die deutschen Bildungsausgaben in Relation zum BIP unter dem OECD-Durchschnitt. Mittlerweile brennen die Themen „Schule und Bil- dung“ auch der Bevölkerung auf den Nägeln. Daher überrascht es nicht, dass dieses Begriffspaar das am häufigsten genannte Themengebiet im Koalitions- vertrag ist. Grundsätzlich positiv zu bewerten ist die von der GroKo angestrebte Bildungsinitiative. Für diese sind in der Legislaturperiode zusätzlich rund EUR 42 44 46 48 50 52 54 Entwicklung des Rentenniveaus Gesetzl. fixiertes Mindestniveau (geltendes Recht) Geplante neue Haltelinie Sinkendes Rentenniveau 9 Sicherungsniveau vor Steuern*, % * Rente des Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren Quellen: BMAS, Koalitionsvertrag 0 2 4 6 8 AU CA FR DE SE GB US OECD Bildungsausgaben: Nachholbedarf in DE 10 Private u. öffentl. Bildungsausgaben in % des BIP, 2014 Quelle: OECD 2017 Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 7 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland 10 Mrd. vorgesehen. Zweckmäßig ist auch die beabsichtigte Breite der Initiative. Sie hat so heterogene Fördergebiete zum Ziel wie Ganztags- und Hochschulen, die berufliche Bildung und Weiterbildung, eine Reform des BAföG, gebühren- freie Kitas bis hin zur Qualifizierung der Lehrkräfte für den digitalen Wandel der Bildungsmöglichkeiten. Leider sagt der Vertrag kaum etwas zur konkreten Um- setzung. An dieser Hürde sind ähnliche Initiativen in der Vergangenheit häufig gescheitert. Der Bund beabsichtigt – zusätzlich zum laufenden Schulsanierungsprogramm – die Unterstützung der Länder bei Investitionen zur Verbesserung der Bildungs- infrastruktur, v.a. Ganztagsschul- und Betreuungsangebote, der Digitalisierung sowie der beruflichen Schulen. Viel zu lange verschanzten sich Bund und Län- der hinter der alleinigen Bildungshoheit der Länder, die auf dem erst 2006 in der Verfassung festgeschriebenen Kooperationsverbot fußt. Zur Umsetzung der neuen Investitionsoffensive in der Bildung soll das Grundgesetz so angepasst werden, dass künftig nicht mehr nur finanzschwache Kommunen begünstigt werden können. Mit dem Ende des Kooperationsverbots könnte der Bund aktiver in Stand und Entwicklung der Schulen einwirken. Es geht dabei keineswegs um das Ende des Föderalismus in Deutschland, sondern um dessen zeitgemäße Modernisie- rung. Gemeinsame Mindestlevels der jeweiligen Schulformen (z.B. Gymnasien) in allen Bundesländern hätten unzweifelhaft viele Vorzüge, gerade auch mit Blick auf die räumliche Mobilität der Arbeitnehmer. Querschnittsthema Digitalisierung: Kein Digital- ministerium, Finanzierung der Infrastruktur als Engpass? Die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft wird an verschiedenen Stellen des Koalitionsvertrages adressiert, mehr als 12 Seiten widmet das Papier ausschließlich der Thematik. Der Maßnahmenkatalog reicht von Infrastruktur, digitaler Verwaltung, autonomem Fahren hin zu lebens- langer digitaler Bildung, Cybersicherheit und Datenschutz. Die Botschaft ist klar: Die Tragweite des Themas Digitalisierung ist bei der neuen alten Regierung an- gekommen. Dabei gibt man sich durchaus ehrgeizig. Deutschland soll in die „Gi- gabit-Gesellschaft“ und an die „Weltspitze im Bereich digitaler Infrastruktur“ ge- führt werden. Deutschland und Europa sollen „beispielgebend für die Leistungs- fähigkeit und Strahlkraft freier Gesellschaften im digitalen Zeitalter“ gestaltet werden. Ob der Koalitionsvertrag hier seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird, muss sich erst noch zeigen. Trotz Priorisierung des digitalen Wandels und dessen ge- samtwirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Tragweite wurden Ideen für ein eigenes Digitalministerium nicht umgesetzt. Das Thema bleibt damit weiterhin beim Ministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur aufgehängt – keine ide- ale Voraussetzung für die Ausarbeitung und Umsetzung einer langfristigen und umfassenden Strategie für den Umgang mit technologischem Wandel, die über Einzelmaßnahmen weit hinausgehen sollte. Dabei ist der Handlungs- und Koor- dinierungsbedarf für dieses ressortübergreifende Querschnittsthema groß. Eine Studie des Fraunhofer Instituts zusammen mit dem ZEW bescheinigte Deutsch- land letztes Jahr nur internationales Mittelmaß (Platz 17 von 35) in Bezug auf Digitalisierung, weit abgeschlagen hinter Skandinavischen EU-Partnern und dem angelsächsischen Raum. Die Gefahr, hier über die nächsten Jahre weiter abgehängt zu werden, sollte sehr ernstgenommen werden. Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 8 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Einige der Mängel wie im Bereich Forschung und Entwicklung, digitaler Bildung und Infrastruktur werden im Koalitionsvertrag durchaus konkret angegangen. So soll ein mit EUR 5 Mrd. veranschlagter Digitalpakt Schule über fünf Jahre die di- gitale Infrastruktur der Schulen und digitale Qualifikation des Lehrpersonals stärken. Grundsätzlich zu begrüßen ist auch das Ziel der Bundesregierung, Deutschland bis 2025 flächendeckend mit „Gigabit-Netzen“ auszustatten. Ge- rade in dünn besiedelten Regionen dürfte der Netzausbau ohne staatliche Zu- schüsse auch künftig nicht oder nur unzureichend erfolgen, weil sich solche In- vestitionen für private Netzbetreiber wegen der relativ geringen Nutzerzahl in der Regel nicht rechnen. Die künftige Bundesregierung schätzt den öffentlichen Finanzierungsbedarf in der laufenden Legislaturperiode auf EUR 10 bis 12 Mrd. Unabhängig von der absoluten Höhe dieses Fördervolumens ist kritisch zu se- hen, dass diese Mittel durch die Vergabe der UMTS- und 5G-Lizenzen generiert werden sollen. Die Versteigerungserlöse sind jedoch unsicher. Ein konkreter und großzügig bemessener Haushaltsansatz würde die Finanzierung der digita- len Infrastruktur auf ein solideres Fundament stellen. Mittel- bis längerfristig sollte ein solcher Haushaltsansatz nicht nur verstetigt, sondern dynamisiert wer- den. Denn die gewerbliche und private Internetnutzung sowie das damit einher- gehende Datenvolumen werden auch künftig stark steigen. Schließlich stehen Anwendungsgebiete wie die vernetzte Mobilität, Industrie 4.0, digitale Gesund- heits- und Bildungsangebote oder viele Social-Media-Dienste erst am Beginn ei- ner Entwicklung, die ein leistungsfähiges Datennetz erfordert. Insofern dürfte die staatliche Förderung des digitalen Netzausbaus auf absehbare Zeit nicht abge- schlossen werden können. Die beabsichtigte Förderung deutscher Startups, etwa durch den Abbau von bü- rokratischen Hürden und Steuerentlastungen in den Gründungsjahren, verbes- serte Bedingungen für Wagniskapital und eine Überarbeitung des Kartellrechts sind essenziell, um Deutschlands Wirtschaft als handlungsfähigen Spieler in ei- ner von aggressivem Wettbewerb geprägten globalen Plattformökonomie zu po- sitionieren. Wieviel hier noch getan werden muss, lässt sich anhand weniger Zahlen veranschaulichen. Unter den aktuell weltweit 20 wertvollsten Tech-Un- ternehmen findet sich lediglich ein deutscher Name. Unter über 200 sogenann- ten „Unicorns“, d.h. (Tech-)Unternehmen mit einem (geschätzten) Wert von min- destens einer Mrd. USD, die von CB Insights identifiziert werden, sind lediglich vier deutsche Einträge. Besserer Zugang zu Kapital für Startups, wie etwa durch einen geplanten „Tech Growth Fund“ und einen „großen nationalen Digitalfonds“ in Zusammenarbeit mit der Industrie, sind wesentliche Schritte, um diesen Miss- stand anzugehen, wenn bislang auch konkrete Zahlen fehlen. Hier ist jetzt eine schnelle Umsetzung erforderlich und darf es nicht bei Absichtsbekundungen bleiben, wenn Deutschlands Digitalwirtschaft international nicht weiter ins Hin- tertreffen geraten soll. Neuausrichtung der Wohnungspolitik nimmt Ge- stalt an Der Koalitionsvertrag sendet eine neue Botschaft. Zum ersten Mal in dem nun fast zehnjährigen Zyklus verfolgt die Wohnungspolitik das klare Ziel, den Neu- bau anzukurbeln. Der aktuelle Vertrag trägt dabei vor allem die Handschrift der CDU, die insbesondere mit der Wohnraumoffensive wieder einen Fokus auf das Wohnungsangebot legt. Diese Offensive sieht sowohl einen Wohngipfel im Jahr 2018 vor als auch den Bau von 1,5 Mio. neuen Wohnungen in der Legislaturpe- riode. Beide Punkte waren bereits im CDU-Wahlprogramm enthalten. Basierend auf der Wachstumsdynamik der letzten Jahre erwarten wir ohne wohnungspoliti- sche Eingriffe den Bau von 1,3 bis 1,4 Mio. Wohnungen. Der politikinduzierte 0 10 20 30 Korea Norwegen Schweden Schweiz Finnland Japan Dänemark USA Niederlande Rumänien Tschech. Republik Vereinigt. Königreich Belgien Kanada Irland Bulgarien Spanien Deutschland Ungarn Neuseeland Litauen EU 28 (Ø) Österreich Portugal Polen Frankreich Italien Griechenland China Brasilien Ägypten Paraguay Quellen: Akamai: „State of the Internet Report“ Q1 2017, Deutsche Bank Research Durchschn. Verbindungsgeschwindigkeit (Mbit/s, Q1 2017, IPv4) Internetgeschwindigkeit: Deutschland global nur auf Platz 25 11 Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 9 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Bau von zusätzlichen 25.000 bis 50.000 Wohnungen pro Jahr ist ein sehr ambi- tioniertes Ziel. Dabei lassen sich zwei wesentliche Ansätze identifizieren: (i) eine neue Anreizstruktur für die Bauindustrie und (ii) ein genereller Abbau von Inves- titionshemmnissen. Investitionsanreize für Familien und die Mittelschicht Die Koalition will Familien und die Mittelschicht fördern. Zu den geplanten Maß- nahmen zählen Steuererleichterungen, die Einführung eines Baukindergelds, staatliche Bürgschaftsprogramme zur Reduktion des Eigenkapitalanteils und eventuell die Einführung eines Freibetrags für die Grunderwerbsteuer. Dagegen sinken die Investitionsanreize für Vermieter. Neben der Begrenzung der Mieter- höhungen nach einer Modernisierung dürfte vor allem die Absenkung der Mo- dernisierungsumlage die Investitionen dämpfen. Angesichts der hohen Kapazi- tätsauslastung im Bausektor dürften die Maßnahmen eine Reallokation der In- vestitionen bewirken: i. Eine Umlenkung der Wohnungsnachfrage von den Metropolen in die Metro- polregionen. ii. Folglich eine höhere Nachfrage nach Einfamilien- und Reihenhäusern in den Metropolregionen und eine geringere Nachfrage nach Stadtwohnungen. iii. Negativ könnte die Förderung des Neubaus in den strukturschwachen Regi- onen wirken. Dort drohen in den Folgejahren ein Überangebot und Preis- rückgänge. Abbau von Investitionshemmnissen Die Koalition plant den Abbau von Investitionshemmnissen. Die vielen Maßnah- men zur Bereitstellung zusätzlichen Baulands lassen auf zusätzlichen Wohn- raum hoffen. Auch weitere flankierende Maßnahmen wie die Verbesserung des Bauplanungsrechts, beschleunigte Planverfahren und die Bekämpfung des Fachkräftemangels sind zu begrüßen. Zu guter Letzt soll die zumeist wirkungs- lose und in Teilen kontraproduktiv wirkende Mietpreisbremse noch in diesem Jahr – zumindest – überprüft werden. Fazit Die Richtung stimmt. Einige Maßnahmen sind für den geplanten Neubau von jährlich 25.000 bis 50.000 Wohnungen hilfreich. Die Absenkung der Modernisie- rungsumlage ist der größte Hemmschuh für die Zielerreichung. Dieser Hemm- schuh und die hohe Kapazitätsauslastung lassen uns einen Neubau von eher zusätzlich 10.000 Wohnungen pro Jahr erwarten. Unklar ist die Wirkung der Be- reitstellung zusätzlichen Baulands. Der geplante Wohnungsgipfel könnte hierauf Antworten geben und zusätzliche Impulse setzen. Aus politischer und gesell- schaftlicher Perspektive mag die Stärkung der Familien und der Mittelschicht vernünftig sein, es steht jedoch zu befürchten, dass ein Gutteil der Mittel letztlich via höherer Preise bei den Produzenten landet. Anreize für den Neubau sollten aber stärker auf angespannte Wohnungsmärkte zugeschnitten werden, um Fehlallokationen zu vermeiden. Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 10 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Energiepolitik: Probleme erkannt, aber nicht be- nannt Bei der Analyse des Kapitels zur Energiepolitik entsteht der Eindruck, dass die künftigen Koalitionspartner zwar viele Probleme der deutschen Energiewende erkannt haben. Sie vermeiden es jedoch, diese im Koalitionsvertrag explizit zu benennen. Stattdessen werden an vielen Stellen Ziele formuliert, ohne diese zu begründen. Diese Begründung würde in vielen Fällen lauten, dass mit den bis- lang ergriffenen (zumeist nicht marktwirtschaftlichen) Maßnahmen die energie- politischen Ziele nicht oder nur unzureichend erreicht oder sogar neue Prob- leme verursacht wurden. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Energiepoli- tik der letzten Jahre sieht jedenfalls anders aus. Wenig überraschend betonen die Koalitionspartner an mehreren Stellen das energiepolitische Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit (Be- zahlbarkeit) und Klima- und Umweltverträglichkeit. Nicht erwähnt wird jedoch, dass gerade das Ziel der Wirtschaftlichkeit – angesichts der aufgrund von Steu- ern, Gebühren und Umlagen gestiegenen Strompreise – in den letzten Jahren zu wenig Priorität genoss. Nach wie vor fehlt eine quantitative Aussage dazu, was Bezahlbarkeit eigentlich bedeutet und mit welchen Instrumenten diese zu gewährleisten wäre. Eines der wenigen quantitativen Ziele im Koalitionsvertrag ist es, den Anteil der erneuerbaren Energien (vermutlich im Stromsektor) bis 2030 auf 65% zu erhöhen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Energiekapitel des Koalitionsvertrages das Wort „Kohle“ nicht auftaucht. Viele der angekündigten Ziele sind grundsätzlich positiv zu beurteilen, nicht zu- letzt weil sie Defizite der Vergangenheit adressieren. Beispiele: Die Energie- wende soll stärker in den europäischen Zusammenhang eingebettet werden, der Ausbau der erneuerbaren Energien soll „effizienter, netzsynchroner und zu- nehmend marktorientierter“ erfolgen, die EEG- und Systemkosten sollen so ge- ring wie möglich gehalten werden, der Ausbau der Stromnetze soll beschleunigt werden, Speichertechnologien sollen gefördert werden. Alles schön und gut. Bezüglich der Frage, mit welchen Instrumenten – also wie – diese Ziele zu errei- chen sind, bleibt der Koalitionsvertrag sehr vage. Hier fehlt eine klare ordnungs- politische Richtschnur. Dies gilt auch für die Frage, welche Kosten der Energie- wende die künftige Bundesregierung als vertretbar ansieht. Angesichts der im- mensen jährlichen Kosten und massiven Umverteilungseffekte durch die Ener- giewende ist diese sehr bedauerlich. Sollten nicht andere Themen (z.B. Flücht- lingsproblematik) die politische und mediale Diskussion in der kommenden Le- gislaturperiode prägen, wird die Energiepolitik dauerhaft für lebhafte Diskussio- nen im Bundestag sorgen. Aus Sicht der Grünen dürfte die künftige Bundesre- gierung nicht ambitioniert genug agieren. AfD und FDP dürften dagegen ver- mehrt das Kostenargument sowie die Effizienz und Effektivität der eingesetzten Instrumente thematisieren. Verkehrspolitik: Dauerhaft höhere Investitionen, viele (sinnvolle) Einzelziele, intensive Umweltdis- kussion Der Verkehrspolitik ist im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ein recht langes Kapitel gewidmet. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass zu den einzelnen Verkehrsträgern relativ viele Einzelziele und Vorhaben skizziert wer- den. Grundsätzlich positiv ist hervorzuheben, dass die Investitionen in Verkehrs- infrastruktur dauerhaft auf dem in der letzten Legislaturperiode erhöhten Niveau Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 11 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland fortgeschrieben werden sollen. Im Gegensatz zu kurzfristigen Konjunkturpro- grammen steigt damit die Chance, dass die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten aus- baut und die Baupreise weniger stark zulegen. Zu begrüßen ist auch, dass die kommende Bundesregierung weiterhin dem Erhalt der Verkehrsinfrastruktur Vorrang vor Neu- und Ausbaumaßnahmen einräumen sowie den Planungspro- zess für Bauvorhaben beschleunigen will. Insgesamt werden die höheren staat- lichen Ausgaben dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit der hiesigen Verkehrs- infrastruktur zu verbessern und Engpässe im Netz schneller zu beseitigen. Dem Umwelt- und Klimaaspekt wird – nicht zuletzt wegen des Diesel-Skandals und der Debatte über die Luftqualität in Städten – im Koalitionsvertrag beson- ders viel Aufmerksamkeit gewidmet. Hierzu gibt es die klare Aussage, dass Fahrverbote vermieden werden sollen. Stattdessen setzt die künftige Bundesre- gierung u.a. auf die technische Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen, die För- derung der Elektromobilität oder des ÖPNV – also Maßnahmen, die erst mittel- fristig wirksam werden. Zur Förderung der E-Mobilität soll bei der pauschalen Dienstwagenbesteuerung für Elektrofahrzeuge (und Hybride) ein reduzierter Satz von 0,5% (statt 1%) gelten; dies könnte die Marktdurchdringung dieser Fahrzeuge deutlich beschleunigen. Offenkundig sind die Koalitionspartner be- strebt, einerseits dem Thema Luftqualität hohe Priorität beizumessen, ohne an- dererseits die Verbraucher (z.B. durch Fahrverbote) oder die Automobilindustrie (z.B. durch Nachrüstungen betroffener Fahrzeuge „um jeden Preis“) kurzfristig stark zu belasten. Hier zeigt sich die Konsensneigung einer großen Koalition in durchaus zuträglichem Maße. Umwelt- und Klimapolitik Das Kapitel „Verantwortungsvoller Umgang mit unseren Ressourcen“ beginnt in- teressanterweise mit einigen traditionellen Umwelthemen, die in den letzten Jahren zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung eine relativ kleine Rolle ge- spielt haben und vom „Überthema“ Klimawandel in den Hintergrund gedrängt wurden. Dazu zählen Meeres-, Hochwasser- und Gewässerschutz, Biodiversität oder die Kreislaufwirtschaft. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass auch diese Umwelt- und Naturschutzthemen Platz im Koalitionsvertrag finden, zumal einige Maßnahmen rund um die Energiewende im Konflikt zum lokalen Umwelt- und Naturschutz stehen (z.B. Eingriffe in Waldflächen durch das Errichten von Wind- kraftanlagen). In Sachen Klimaschutz bekennen sich die Koalitionspartner zu ihren bekannten Klimaschutzzielen. Dabei wird lediglich beiläufig erwähnt, dass das Klimaschutz- ziel für 2020 (CO 2 -Minderung um 40% gg. 1990) verfehlt wird. Es fehlen eine nüchterne Analyse der eigenen klimapolitischen Bilanz sowie eine Auseinander- setzung mit der Frage, ob die eigenen Klimaschutzziele nicht doch zu ambitio- niert gewählt sind. Fast schon kabarettistisch wirkt dann folgende Aussage aus dem Koalitionsvertrag: „Wir stehen weiterhin für eine wissenschaftlich fundierte, technologieoffene und effiziente Klimapolitik“. Um die wesentliche Frage, wie die mittel- und langfristigen Klimaschutzziele eingehalten und wie dabei wirtschaftli- che Belange und das Thema Versorgungssicherheit adressiert werden können, soll sich eine Kommission kümmern. Auch so kann man Zeit gewinnen und Ver- antwortung delegieren. Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 12 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Finanzpolitik: Nicht ohne Risiken und Nebenwir- kungen Der öffentliche Gesamthaushalt (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversiche- rungsträger) erzielte 2017 das vierte Jahr in Folge ein sattes Plus (EUR 36,6 Mrd. bzw. 1,1% des BIP), das nochmals spürbar über dem des Vorjahres lag (2016: EUR 25,7 Mrd. bzw. 0,8% des BIP). Ausschlaggebend dafür waren die weiter rückläufigen Zinsausgaben sowie die immer kräftiger fließenden Staats- einnahmen (Steuern und Sozialversicherungsbeiträge). Beides konnte die fiska- lischen Belastungen durch die kräftig wachsenden Staatsausgaben (noch) mehr als ausgleichen. Ohne neue fiskalische Belastungen (d.h. bei Fortführung des Status quo) würden der Staatsüberschuss weiter zulegen und die gesamtstaatli- che Schuldenquote rapide fallen. Dies würde die Staatsfinanzen auf die abseh- baren zukünftigen Belastungen (Zinsnormalisierung, Demografie) vorbereiten. Denn perspektivisch (ab Mitte der 2020er Jahre) werden die Haushalte der Ge- bietskörperschaften und Sozialversicherungsträger unter erheblichen Druck ge- raten. Zwar wird die gute Haushaltslage von der Politik wohlwollend wahrge- nommen, die mittel- bzw. langfristigen Risiken werden jedoch scheinbar ausge- blendet. Diese kurzfristige Sichtweise impliziert für die mittlere bis lange Frist er- hebliche Finanzierungsrisiken und entsprechenden fiskalischen Korrekturbedarf. Statt „Spare in der Zeit, denn dann hast Du in der Not“ steht Aus- geben auf dem Programm Der Finanzspielraum der neuen Bundesregierung unter Wahrung der „Schwar- zen Null“ auf Bundesebene wird auf ca. EUR 46 Mrd. geschätzt (kumuliert; 2018-21). Dieser ist zum Teil basisbedingt, d.h. durch den Überschuss von EUR 5 Mrd. (veranschlagt war ein Defizit von EUR 7 Mrd.) im Bundeshaushalt 2017, sowie durch die absehbaren Steuermehreinnahmen für die Jahre 2018-21 an- gelegt. Zwar will die „GroKo“ kräftig in Bildung und die (digitale Infrastruktur) – und damit in die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft – investieren (eine sinnvolle Maßnahme), jedoch werden gleichzeitig erhebliche Beträge in eine weitere Aufblähung des schon üppigen Sozialstaates gesteckt (Mütterrente II, Grundrente), die die ohnehin großen demografischen Belastungen weiter ver- größern. Gleichzeitig bleibt die Steuerpolitik deutlich hinter dem zurück, was möglich wäre. So soll der Solidaritätszuschlag, der 2017 knapp EUR 18 Mrd. in die Bun- deskasse spülte, ab dem Jahr 2021 in einem ersten zaghaften Schritt zwar für rund 90% der Einkommensteuerzahler abgeschafft werden (Kostenpunkt: EUR 10 Mrd.). Das oberste Dezil der Steuerzahler, das rund die Hälfte der Einkom- mensteuer zahlt, bleibt jedoch außen vor ebenso wie viele Unternehmen. Insge- samt bleibt das Entlastungsvolumen (zunächst) kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleichzeitig werden große Summen an Steuergeldern für gut gemeinte, aber teure Subventionen verausgabt (Baukindergeld zur Förderung von Wohneigentum von Familien), deren Effektivität zur politischen Zielerrei- chung jedoch fraglich ist. Eine Auflistung der fiskalischen Belastungen (aufgrund der im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen) findet sich in Tab. 1 und Tab. 2. Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 13 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Prozyklische Fiskalpolitik birgt erhebliche Haushaltsrisiken für die nächste Legislaturperiode Bei Umsetzung aller geplanten Maßnahmen dürften die fiskalischen Haushalts- belastungen insgesamt deutlich über dem identifizierten Finanzspielraum i.H.v. EUR 46 Mrd. (und den im Finanztableau des Koalitionsvertrages aufgelisteten Summen) liegen, sodass steigende Defizite auf Bundesebene bzw. abebbende gesamtstaatliche Überschüsse vorprogrammiert wären. So quantifiziert das Institut der Deutsche Wirtschaft (IW) in einer aktuellen Stu- die 4 die über den fiskalischen Spielraum (von rund EUR 46 Mrd.) hinausge- hende Belastungen des Bundeshaushaltes 5 auf rund EUR 20 Mrd. Gleichzeitig beziffert das IW die fiskalische Gesamtbelastung für den Gesamtstaat (Gebiets- körperschaften plus Sozialversicherungsträger) auf kumulierte EUR 88,5 Mrd. für 2018-21. In diesem Gesamtvolumen sind u.a. die fiskalischen Belastungen der beabsichtigten rentenpolitischen Maßnahmen (u.a. aus der Mütterrente II) (von ca. EUR 10,7 Mrd.), der Abschaffung des Zusatzbeitrages in der gesetzli- chen Krankenversicherung (mit Rückkehr zur paritätischen Finanzierung) (ca. EUR 4,2 Mrd.), des Abbaus der kalten Progression (ca. EUR 21 Mrd.) sowie der vorgesehenen Beitragssatzsenkung (um 0,3%-Punkte) zur Arbeitslosenversi- cherung (EUR 9,9 Mrd.) berücksichtigt. Auf Bundesebene können die möglichen zusätzlichen – über den Finanzspielraum von EUR 46 Mrd. hinausgehenden – Belastungen i.H.v. EUR 20 Mrd. laut IW-Schätzungen insbesondere auf die noch ungeklärte Finanzierung der Mütterrente II (mit ggf. erforderlich werdenden Bundeszuschüssen zur Rentenkasse von mehr als EUR 3 Mrd.), höhere Bei- tragszahlungen Deutschlands an die EU (von über EUR 7 Mrd. pro Jahr ab 2021) sowie die durch den Abbau der kalten Progression bedingten Minderein- nahmen des Bundes (von kumulierten EUR 9 Mrd.) entstehen. 4 Fiskalische Effekte des Koalitionsvertrages 2018. IW-Policy Paper 5/2018. 26.02.2018. 5 Die Gesamtbelastung des Bundeshaushaltes ergibt sich aus der Nettosumme aus Mehrausgaben, Mindereinnahmen und Mehreinnahmen. -30 -25 -20 -15 -10 -5 0 5 10 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Regierungsentwurf 2018 + Finanzplan bis 2021 (Juli 2017) Regierungsentwurf 2018 + Finanzplan bis 2021 unter Berücksichtigung der neusten Steuerschätzung* Szenario 1 Szenario 2 EUR Mrd. * Berücksichtigt werden hier die Steuermehreinnahmen, die sich auf Basis der neusten Steuerschätzung vom November 2017 gegenü ber vorherigen Planungen ergeben. Szenario 1: Unter Berücksichtigung der im Koalitionsvertrag auf den Seiten 67 und 68 im Tableau aufgelisteten prioritären Maßnahmen. Szenario 2: Unter Berücksichtigung aller im Koalitionsvertrag erwähnten Maßnahmen. Quellen: Bundesfinanzministerium, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, IW, Deutsche Bank Research Bundeshaushalt: Mögliche Entwicklungen des Finanzierungssaldos (2018 - 21) 12 Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 14 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Tabelle 1: Prioritäre Ausgaben der GroKo (wie im Koalitionsvertrag auf den Seiten 67 und 68 aufgelistet) EUR Mrd. Anteil (%) % BIP (2017) 60,5 100,0 1,9 46,0 76,0 100,0 1,4 6,0 9,8 12,9 0,2 2,0 3,3 4,4 0,1 0,4 0,6 0,8 0,0 1,0 1,7 2,2 0,0 0,6 1,0 1,3 0,0 2,0 3,3 4,4 0,1 14,5 24,0 0,4 12,0 19,9 26,1 0,4 3,5 5,8 7,6 0,1 3,5 5,8 7,6 0,1 1,0 1,7 2,2 0,0 4,0 6,6 8,7 0,1 4,0 6,6 8,7 0,1 2,0 3,3 4,4 0,1 2,0 3,3 4,4 0,1 12,0 19,9 26,1 0,4 1,0 1,7 2,2 0,0 1,5 2,5 3,3 0,0 1,5 2,5 3,3 0,0 8,0 13,2 17,4 0,2 2,0 3,3 4,4 0,1 2,0 3,3 4,4 0,1 10,0 16,5 21,8 0,3 10,0 16,5 21,8 0,3 Quellen: Ko alit io nsvert rag zwischen CDU, CSU und SPD (7. Feb ruar 2 0 18), Dest at is, IW, Deut sche B ank Research Steuerliche Förderung von mehr Wohneigentum (AfA, energetische Gebäudesanierung, Förderung Eigentum für Familien) Gleichwertige Lebensverhältnisse, Landwirtschaft, Verkehr und Kommunen Erhöhung der Mittel Gemeindeverkehrs- finanzierungsgesetz (GVFG) 2020/21 Regionale Strukturpolitik / Strukturw andel Kohlepolitik Ländliche Räume / Landw irtschaft Fortsetzung kommunaler w ie auch Landesprogramme Internationale Verantw ortung bei Sicherheit und Entwicklung Erhöhung des Etats für Verteidigung und ODA-Quote Entlastung der Bürger Solidaritätszuschlag * Der B et rag zwischen 10 und 12 M rd . EUR f ür d en B reit b andausb au plus 5 M rd . EUR f ür d en Dig it alp akt Schulen (üb er f ünf Jahre; d avo n 3 ,5 M r d . b is 2 0 2 1) soll d ur ch Er lö se aus d er V er g ab e der UM TS- und 5G-Lizenzen f inanziert werd en. Dar üb er hinaus so ll b is 2 0 2 1 im Haushalt sicherg est ellt werd en, d ass das Fö rd er vo lumen i nsg esamt erreicht wird . Weitere Förderung sozialer Wohnungsbau durch Bund (2020/21) Aufstiegsfortbildung in der beruflichen Bildung Ref orm BAf öG Nachfolge Hochschulpakt (ab 2021) Bundesanteil am schrittw eisen Erreichen des 3,5- Prozent-Ziels für FuE bis 2025 Breitbandausbau, Digitalpakt Schulen (Infrastruktur): Finanzierung durch einen Gigabitinvestitionsfonds* Familie n, Kinder und Soziale s Bundesanteil an der Erhöhung des Kindergelds und Kinderf reibetrags Kita (Gebühren und Qualität) Bekämpfung der Kinderarmut durch Kinderzuschlag Eingliederungstitel SGB II: Sozialer Arbeitsmarkt / Soziale Teilhabe Bauen und Wohnen Ganztagsschulen/Ganztagsbetreuung Kumulierte Werte f ür 2018-21 Anteil (%) (ohne Fonds) Gesamt (mit Gigabitinvestitionsfonds) Gesamt (ohne Gigabitinvestitionsfonds) Investitionen in Zukunft: Bildung, Forschung, Hochs chulen, Digitalisie rung Koalitionsvertrag – Zukunft geht anders 15 | 5. März 2018 Standpunkt Deutschland Unter Berücksichtigung dieser möglichen zusätzlichen fiskalischen Belastungen könnte der Bundeshaushalt spätestens ab 2021 tief ins Defizit rutschen. Zusätz- lich besteht das Risiko, dass einige Maßnahmen (wie z.B. der Breitbandausbau und der Digitalpakt) nicht vollständig durch dafür vorgesehene außer-budgetäre Einnahmen (Versteigerungserlöse aus den UMTS- und 5G-Lizenzen) finanziert werden können und somit weitere Mittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden müssten. Da ein Großteil der Maßnahmen (wie z.B. das Baukindergeld, die Kindergelderhöhung oder der Soli-Abbau) erst in den letzten beiden Jahren der Legislaturperiode ihre volle fiskalische Wirkungen entfalten dürften, ist je- doch bei Umsetzung aller Maßnahmen erst ab 2021 mit einer spürbaren Ver- schlechterung des Bundeshaushaltes bzw. des gesamtstaatlichen Haushaltes zu rechnen. Unserer Einschätzung nach könnte der Bundeshaushalt – ohne neue positive Überraschungen bei der Steuerschätzung – bereits 2021 ein Defizit von rund EUR 30 Mrd. schreiben – ein Betrag, der wohl nicht mit den Vorgaben der Schuldenbremse in Einklang zu bringen wäre (siehe Grafik 12). Demnach er- scheinen (auch aufgrund des gleichzeitigen Bekenntnisses der Koalitionäre zur „Schwarzen Null“ auf Bundesebene) nicht alle im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen aus fiskalischer Sicht (ohne entsprechende Gegenfinanzierung an anderer Stelle) umsetzbar. In der Tat könnte die Schuldenbremse, die noch zu deutlich schlechteren fiskalischen Zeiten (2009) beschlossen wurde, einer grö- ßeren Verschlechterung der deutschen Staatsfinanzen vorbeugen. Josef Auer (+49 69 910-31878, josef.auer@db.com) Sebastian Becker (+49 69 910-21548, sebastian-b.becker@db.com) Barbara Böttcher (+49 69 910-31787, barbara.boettcher@db.com) Dieter Bräuninger (+49 69 910-31708, dieter.braeuninger@db.com) Eric Heymann (+49 69 910-31730, eric.heymann@db.com) Kevin Körner (+49 69 910-31718, kevin.koerner@db.com) Jochen Möbert (+49 69 910-31727, jochen.moebert@db.com) Marc Schattenberg (+49 69 910-31875, marc.schattenberg@db.com) Stefan Schneider (+49 69 910-31790, stefan-b.schneider@db.com) EUR Mrd. % BIP (2017) 19,1 0,6 11,5 0,4 3,2 0,1 1,3 0,0 7,0 0,2 7,6 0,2 8,9 0,3 1,3 0,0 * D as IW schät zt d ie hö here A b f ühr ung Deut schland s an d ie EU auf 7,8 M r d . Tabelle 2: Nicht im Tableau berücksichtigte (aber im Koalitionsvertrag erwähnte) Maßnahmen Kumulierte Werte für 2018-21 Nicht im Tableau berück sichtigte, aber im Koalitionsvertrag erwähnte Maßnahmen Mehrausgaben Mütterrente II Abschaffung Zusatzbeitrag GKV (Belastung für GRV und damit für den Bund über Bundeszuschüsse an GRV) Höhere Abführungen Deutschlands an die EU (Schätzung Deutsche Bank Research)* (Netto-) Mindereinnahmen Mindereinnahmen durch Abbau der kalten Progression Mehreinnahmen durch Abschaffung der Abgeltungssteuer auf Zinserträge Quellen: Koalit io nsvert rag zwischen CDU, CSU und SPD (7. Februar 2 018), Dest at is, IW, Deut sche Bank Research Standpunkt Deutschland Unsere Publikationen finden Sie unentgeltlich auf unserer Internetseite www.dbresearch.de Dort können Sie sich auch als regelmäßiger Empfänger unserer Publikationen per E-Mail eintragen. Für die Print-Version wenden Sie sich bitte an: Deutsche Bank Research Marketing 60262 Frankfurt am Main Fax: +49 69 910-31877 E-Mail: marketing.dbr@db.com Schneller via E-Mail: marketing.dbr@db.com Im „Standpunkt Deutschland“ analysieren und kommentieren wir aktuelle Wirtschafts- und Finanzthemen und beziehen Position in der öffentlichen Debatte. Über das Tagesgeschehen hinaus wollen wir den Blick auf die strategischen Herausforderungen richten, denen sich Deutschland im 21. Jahrhundert stellen muss. * Koalitionsvertrag: Zukunft geht anders ............................. 5. März 2018 * Hochburg der Stabilität: Was Deutschland so erfolgreich macht ..................15. Dezember 2016 * Die dunklen Seiten des QE: Vergemeinschaftung von Schulden durch die Hintertür, Enteignung der Sparer und Blasenbildung .................................................. 1. November 2016 * Ein schwarzer Tag für Europa ......................................... 23. Juni 2016 * Die EZB muss Kurs ändern ............................................... 8. Juni 2016 * Flüchtlingszustrom: Eine Chance für Deutschland ................................. 3. November 2016 © Copyright 2018. Deutsche Bank AG, Deutsche Bank Research, 60262 Frankfurt am Main, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten. Bei Zitaten wird um Quellenangabe „Deutsche Bank Research“ gebeten. Die vorstehenden Angaben stellen keine Anlage-, Rechts- oder Steuerberatung dar. Alle Meinungsaussagen geben die aktuelle Einschätzung des Verfassers wieder, die nicht notwendigerweise der Meinung der Deutsche Bank AG oder ihrer assoziierten Unternehmen entspricht. Alle Meinungen können ohne vorherige Ankündigung geändert werden. Die Meinungen können von Einschätzungen abweichen, die in anderen von der Deutsche Bank veröffentlichten Dokumenten, einschließlich Research-Veröffentlichungen, vertreten werden. 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